Ärger über «Lauschangriff»: Kretschmann lästert über Grüne

Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: Christoph Schmidt/Archiv
Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: Christoph Schmidt/Archiv

Ein Läster-Video von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellt die erklärte Einigkeit der Grünen vor der Bundestagswahl in Frage. In dem Mitschnitt zieht Kretschmann im Gespräch mit einem Bundestagsabgeordneten mit deutlichen Worten über den Beschluss her, von 2030 an nur noch abgasfreie Autos neu zuzulassen. Unter anderem spricht der prominente Politiker von «Schwachsinns-Terminen». Dass Kretschmann das konkrete Zieljahr 2030 kritisch sieht, ist allerdings bekannt.

Ein Regierungssprecher in Stuttgart nannte das Video vom Berliner Bundesparteitag am vergangenen Wochenende einen «Lauschangriff» auf ein privates Gespräch, dessen Veröffentlichung unter anderem auf YouTube «sittenwidrig» sei. Man wolle aber nicht juristisch dagegen vorgehen. Grünen-Chef Cem Özdemir betonte die grundsätzliche Geschlossenheit der Partei: «Im Ziel der abgasfreien Mobilität besteht große Einigkeit.» Man freue sich, dass Kretschmann mit der Partei einen «engagierten Wahlkampf» machen werde.

 

Christian Jung, der in der Aufnahme als Urheber genannt wird, verteidigte sich gegen die Vorwürfe aus Stuttgart: «Die Aufnahmesituation war eindeutig und klar erkennbar», wird Jung in der rechtskonservativen Wochenzeitung «Junge Freiheit» zitiert.

 

Im Gespräch mit dem Baden-Württemberger Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel sagte Kretschmann unter anderem, die Grünen müssten mit sechs oder acht Prozent bei der Bundestagswahl zufrieden sein, wenn sie so etwas beschlössen. «Dann jammert nicht rum und lasst mich in Ruhe und macht Euren Wahlkampf selber.» Er als Ministerpräsident mache das nicht.

 

Für die Grünen ist der Mitschnitt ärgerlich, weil sie im Wahlkampf um ein geschlossenes Auftreten bemüht sind und Konflikte auf dem Berliner Bundesparteitag größtenteils im Hintergrund abgeräumt hatten. In Umfragen liegen sie derzeit bei sieben bis acht Prozent, Ziel ist ein zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl am 24. September und der dritte Platz hinter Union und SPD.

 

Kretschmann ist der beliebteste Grünen-Politiker in Deutschland, der erste grüne Ministerpräsident und einer der wichtigsten Vertreter des pragmatischen Realo-Flügels der Partei. Er koaliert in Baden-Württemberg mit der CDU. Im linken Parteiflügel gibt es immer wieder Kritik an Kretschmanns Politik und seinen Ansichten.

 

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sagte mit Blick auf das Video, es sei ein Skandal, dass jemand so etwas aufnehme. Natürlich rede man unter vier Augen Tacheles und lese sich keine Pressemitteilung vor. Der Politikwissenschaftler Ulrich Eith sagte der «Heilbronner Stimme» (Samstag): «Solche Gespräche finden doch in jeder Fraktionssitzung und auf jedem Parteitag von jeder Partei statt. Alles andere sind realitätsfremde Vorstellungen.» Entscheidend sei, dass die Parteispitzen zu einer gemeinsamen Position fänden und diese im Wahlkampf dann auch geschlossen öffentlich verträten.

 

CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart sagte: «Das Video offenbart, dass sich der Ministerpräsident im Interesse Baden-Württembergs nicht hinter das Bundestagswahlprogramm der Grünen stellen will. Es bereitet mir gerade für Baden-Württemberg schon Sorgen, dass der MP mit seinen Argumenten in seiner Partei nicht durchdringen kann.» SPD-Fraktionschef Andreas Stoch meinte, es werde deutlich, dass Kretschmann und die Grünen in vielen Punkten und gerade auch beim Thema Mobilität und Zukunft des Automobils nichts mehr miteinander zu tun hätten. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke warf Kretschmann Unglaubwürdigkeit vor. «Es ist schon verwunderlich, dass Herr Kretschmann einerseits erklärt, er sei mit den Ergebnissen des Grünen-Bundesparteitags zufrieden, und andererseits so gegen die grünen Beschlüsse wettert.» Kretschmann müsse sich schon fragen lassen, was nun gelte. «Die Wählerinnen und Wähler sehen: Die Grünen sind eine - kurz vor der Bundestagswahl - tief zerstrittene Partei.» (DPA/LSW)