Ein Land im Ausnahmezustand, eine Schicksalswahl für Europa und ein ungewisser Ausgang: Der Mitte-Links-Politiker Emmanuel Macron und die Rechtspopulistin Marine Le Pen haben nach ersten Hochrechnungen die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahl gewonnen. Wie die Sender France 2 und TF1 berichteten, kämpfen der Ex-Wirtschaftsminister und die Chefin der rechtsextremen Front National (FN) bei der Stichwahl am 7. Mai um den Einzug in den Élyséepalast.
Macron lag laut France 2 mit 23,7 Prozent vor Le Pen mit 21,7 Prozent. Auch der TF1 sah den sozialliberalen Kandidaten vor Le Pen. Laut einer Hochrechnung des Senders kam Macron auf 23 Prozent, die FN-Chefin auf 22 Prozent. Anfangs hatte TF1 die beiden auf Augenhöhe gesehen.
Die 48-jährige Le Pen schnitt wesentlich besser ab als vor fünf Jahren, als sie im ersten Wahlgang 17,9 Prozent der Stimmen geholt hatte. Frühere Umfragen hatten Macron in einem Duell gegen Le Pen deutlich vorn gesehen.
Das gute Ergebnis Le Pens ist für viele Franzosen und Europäer ein Schock. Zum zweiten Mal seit 2002 steht die FN in der Stichwahl. Die FN-Chefin will die Euro-Währung in Frankreich abschaffen und ihre Mitbürger über die EU-Mitgliedschaft abstimmen lassen. Der entscheidende zweite Wahlgang am 7. Mai dürfte damit auch zu einer Abstimmung über Europa werden. Macron, Chef der politischen Bewegung «En Marche!» (Auf dem Weg), ist europafreundlich eingestellt.
Macron sieht seinen Erfolg bei der ersten Runde der Präsidentenwahl als eine Wende in der französischen Politik. «Die Franzosen haben ihren Wunsch nach einer Erneuerung ausgesprochen», sagte Macron der französischen Nachrichtenagentur AFP. Ein Kapitel der französischen Politik sei nun geschlossen worden, sagte er.
Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon erreichte laut Hochrechnungen zwischen 19 und 19,5 Prozent, ebenso wie sein konservativer Widersacher François Fillon. Fillon kündigte an, in der Stichwahl für Macron zu stimmen. «Die Enthaltung entspricht nicht meinen Genen, vor allem wenn eine extremistsiche Partei sich der Macht nähert», sagte er am Sonntagabend.
Auch Frankreichs Premierminister Bernard Cazeneuve und der sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon riefen dazu auf, für Macron zu stimmen. «Ich bin dabei gescheitert, das Desaster, das sich angekündigt hatte, zu verhindern. Ich übernehme dafür die volle Verantwortung», sagte Hamon vor seinen Anhängern. Die «Auslöschung der Linken durch die extreme Rechte» sei eine schwere Wahlniederlage.
Macron war unter Hollande Wirtschaftsminister; sein Parteibuch bei den Sozialisten hat der 39-jährige Polit-Jungstar aber schon lange abgegeben. Er profilierte sich früh als liberaler Gegenspieler von Le Pen. Er tritt für eine enge Partnerschaft mit Deutschland ein.
Ein Sieg Le Pens in der Stichwahl in zwei Wochen wäre nach dem Brexit-Votum und dem Triumph von Donald Trump in den USA der dritte große Erfolg von nationalistischen Populisten.
Etwa 47 Millionen Franzosen waren zur Wahl des Nachfolgers von Präsident François Hollande aufgerufen. Insgesamt wollten elf Kandidaten den Sozialisten beerben. Hollande hatte sich nicht mehr für eine weitere Amtszeit beworben.
Der Wahlkampf war geprägt von Skandalen und überraschenden Wendungen. Die konservativen Republikaner und die Sozialisten, die seit Jahrzehnten das Land führen, gerieten ins Hintertreffen. Fillon geriet wegen des Verdachts der Scheinbeschäftigung seiner Frau massiv unter Druck. Auch Le Pen ist im Visier der Justiz. Die Europaabgeordnete soll FN-Mitarbeiter auf Kosten des Parlaments zum Schein beschäftigt haben.
Inhaltlich ging es im Wahlkampf vor allem um Europa, Einwanderung und die Arroganz der Eliten. Der Antiterrorkampf spielte insbesondere im Finale eine größere Rolle. Frankreich wird seit Anfang 2015 von einer beispiellosen Serie islamistischer Anschläge erschüttert. Erst am vergangenen Donnerstag hatte ein 39-Jähriger auf den Pariser Champs-Élysées mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr das Feuer auf Polizisten eröffnet und einen von ihnen getötet.
Frankreich ist nach Deutschland die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Paris und Berlin bilden seit Jahrzehnten in der EU ein Tandem, ohne das nur wenig geht. Staatschef Charles de Gaulle und Kanzler Konrad Adenauer hatten 1963 mit einem Freundschaftsvertrag die Aussöhnung der ehemaligen Erzfeinde besiegelt. Seither ist immer wieder vom deutsch-französischen Motor in der EU die Rede. Mit keinem anderen EU-Land treibt Deutschland mehr Handel als mit Frankreich - weltweit ist für die Bundesrepublik nur China wichtiger. (DPA)