Mutmaßlicher Terrorist Amri tot - Ermittlungen gehen weiter

Italienische Polizeibeamte sichern in Mailand Spuren. Foto: Daniele Bennati
Italienische Polizeibeamte sichern in Mailand Spuren. Foto: Daniele Bennati

Berlin (dpa) - Nach dem Tod des mutmaßlichen Attentäters von Berlin, Anis Amri, gehen die Ermittlungen auch über Weihnachten mit Hochdruck weiter. Generalbundesanwalt Peter Frank betonte, es müsse jetzt dringend untersucht werden, ob der 24-jährige Tunesier ein Unterstützernetzwerk, Mitwisser oder Gehilfen hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte Konsequenzen für mögliche Helfer an. Sie sicherte eine rasche Überprüfung zu, «inwieweit staatliche Maßnahmen verändert werden müssen».

Zudem dringt die CDU-Chefin auf schnellere Abschiebungen nach Tunesien.

 

Der mutmaßliche islamistische Terrorist Amri war am frühen Freitagmorgen in der Nähe von Mailand von italienischen Polizisten erschossen worden. Er habe bei einer Routineüberprüfung durch zwei junge Polizeibeamte «ohne zu zögern» seine Waffe gezogen und gefeuert, berichtete Italiens Innenminister Marco Minniti in Rom.

 

Der Tunesier soll zuvor mit dem Zug über Frankreich nach Italien gereist sein. Am Bahnhof Sesto San Giovanni im Großraum Mailand begegnete er gegen 3.30 Uhr den Polizisten. Einer der beiden wurde an der Schulter getroffen. Er schwebe aber nicht in Lebensgefahr, sagte Minniti. Amri war für längere Zeit in Italien in Haft gewesen.

 

Das IS-Sprachrohr Amak veröffentlichte am Freitag ein Video, auf dem der mutmaßliche Berlin-Attentäter zu sehen sein soll. In der knapp dreiminütigen Aufnahme, die offenbar bereits vor einigen Wochen in Berlin gefilmt wurde, schwört Amri dem Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), Abu Bakr al-Bagdadi, die Treue. Die Echtheit des Videos konnte zunächst nicht unabhängig bestätigt werden.

 

Für die Bundesanwaltschaft sei «vor allem auch von Interesse, ob die Waffe, die bei Anis Amri in Mailand gefunden wurde, die Tatwaffe von Berlin ist», sagte Generalbundesanwalt Frank. Nach Amri war seit Donnerstag mit Haftbefehl gefahndet worden. Er ist laut Bundesregierung mit hoher Wahrscheinlichkeit der Mann, der am Montagabend in Berlin mit einem gestohlenen Sattelzug in den Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gerast ist. Amris Fingerabdrücke wurden mehrfach an dem Lastwagen sichergestellt.

 

Neben der Geldbörse fand die Polizei laut «Spiegel» einen Tag nach dem Anschlag offensichtlich auch das Handy Amris beim Lastwagen. Bei dem Attentat starben zwölf Menschen, 53 wurden teilweise lebensgefährlich verletzt.

 

Nach «Spiegel»-Informationen sind mittlerweile alle Toten identifiziert, es handele sich um jeweils sechs Männer und Frauen. Die Leiche einer getöteten Italienerin wird an diesem Samstag in ihrer Heimat erwartet. Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) stellte den Opfern des Anschlags eine Entschädigung in Aussicht, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland berichtete.

Merkel betonte, bei aller momentanen Erleichterung bestehe die Gefahr des Terrorismus weiter. Für sie selbst wie für die gesamte Bundesregierung sei es oberste Pflicht des Staates, die Bürger zu schützen. «Darauf können Sie sich verlassen.» Merkel fügte hinzu: «Unsere Demokratie, unser Rechtsstaat, unsere Werte, unsere Mitmenschlichkeit - sie sind der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus. Und sie werden stärker sein als der Terrorismus.»

 

Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigten rasche Beratungen über Konsequenzen aus dem Terroranschlag an. Bei den Gesprächen werde es im Januar «insbesondere um die Fragen gehen, wie Ausreisepflichtige so schnell wie möglich abgeschoben werden und wie Gefährder noch besser überwacht werden können», sagte Maas. De Maizière verwies auf seinen «längst» vorliegenden Gesetzentwurf zur Abschiebehaft bei ausreisepflichtigen Gefährdern und zur Ausgestaltung der Duldung. «Darüber hinaus werde ich mir vorbehalten, weitere Vorschläge zu unterbreiten, um Deutschland noch sicherer zu machen», sagte er.

 

Die FDP forderte eine unabhängige Expertenkommission, die den Anschlag aufklären solle. «Die Untersuchung sollte nicht regierungsintern ablaufen», sagte FDP-Chef Christian Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, kündigte an, dass auch über die Weihnachtstage eine «dreistellige Zahl von Ermittlern» an dem Fall arbeiten werde.

 

Deutsche Sicherheitsbehörden hatten den Tunesier als Gefährder im Blick. Auf Amris Spur waren die Ermittler gekommen, als sie in dem Lastwagen seine Duldungspapiere fanden. Der Tunesier war 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist.

 

Merkel sagte, sie habe mit dem tunesischen Staatschef Beji Caid Essebsi telefoniert. «Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass wir den Rückführungsprozess (...) noch deutlich beschleunigen und die Zahl der Zurückgeführten weiter erhöhen müssen.» Bei der Frage der Rückführungen habe es im laufenden Jahr Fortschritte gegeben. Nach dem Anschlag war bekannt geworden, dass eine Abschiebung Amris gescheitert war, weil er keinen Pass hatte.

 

Die NRW-Grünen lehnen es trotz des Terroranschlages von Berlin weiter ab, Algerien, Marokko und Tunesien zu «sicheren Herkunftsstaaten» zu erklären. Dieser Fall habe «nichts mit der Diskussion über die sicheren Herkunftsstaaten zu tun», sagte die Grünen-Landesvorsitzende Mona Neubaur der in Essen erscheinenden «Westdeutschen Allgemeinen Zeitung» (Samstag).

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte am Freitagabend im ARD-«Brennpunkt»: «Wir müssen einen klareren Eindruck bekommen, wer sich in unserem Land aufhält.» Nötig seien «auf jeden Fall striktere Grenzkontrollen». Er hoffe, dass der Fall Amri auch für benachbarte Länder ein Weckruf sei.

 

Merkel dankte der italienischen Polizei und insbesondere den beiden Polizisten, die Amri stellten. Sie wünschte dem Verletzten baldige Genesung. (DPA)