EU-Partner staunen beim Gipfel über britische Forderungen

Da wird noch zu reden sein: David Cameron und Angela Merkel beim EU-Gipfel. Foto: Stephanie Lecocq
Da wird noch zu reden sein: David Cameron und Angela Merkel beim EU-Gipfel. Foto: Stephanie Lecocq

Der britische Premier David Cameron bekommt im Streit um neue Sonderrechte für sein Land erheblichen Gegenwind von den EU-Partnern. EU-Ratschef Donald Tusk sagte beim Brüsseler Gipfel, Mitgliedstaaten seien zwar bereit, über Camerons Reformvorschläge zu sprechen. «Einige Teile der britischen Forderungen scheinen nicht hinnehmbar», wandte der liberalkonservative Pole jedoch ein. 

 

Besonders umstritten ist das Ansinnen Camerons, dass zugewanderte EU-Bürger mindestens vier Jahre in Großbritannien gearbeitet haben müssen, bevor sie einen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen bekommen. «Wir können nicht hinnehmen, dass unsere Bevölkerung diskriminiert wird», warnte die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite. Dem Vernehmen nach soll nach Alternativlösungen gesucht werden. Viele EU-Zuwanderer auf der Insel kommen aus Osteuropa, aber auch aus dem Süden des Kontinents.

 

Ein weiteres großes Thema des zweitägigen EU-Spitzentreffens war die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, die für Spannungen zwischen den EU-Staaten sorgt.

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, sie erwarte zu Großbritannien eine offene Aussprache. «Es sollte Möglichkeiten geben, hier Lösungen zu finden, wenn alle Seiten aufeinander zugehen. Deutschland ist dazu jedenfalls bereit. Wir wünschen uns Großbritannien weiter in der Europäischen Union.» Cameron fügte hinzu: «Wir machen keinen Druck für einen Deal heute, aber wir machen Druck für echte Bewegung.»

 

Die EU lässt sich auf Reformverhandlungen ein, um Großbritannien in der Union zu halten. Eine Lösung wird für den Februar-Gipfel angestrebt. Cameron will seine Landsleute bis Ende 2017 über den Verbleib in der EU abstimmen lassen. Einen Termin für das Referendum gibt es bisher nicht; es wird über Mitte 2016 spekuliert.

 

Merkel fordert in der Flüchtlingsdebatte, die illegale Zuwanderung nach Europa spürbar zu vermindern. Ein Vor-Treffen von Spitzenvertretern aus insgesamt elf EU-Staaten mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu nannte die CDU-Chefin «sehr gut».

 

Deutschland und andere EU-Staaten bereiten laut Diplomaten die Übernahme von Flüchtlingskontingenten aus der Türkei auf freiwilliger Basis vor. Zahlen wurden nicht genannt. Davutoglu forderte, die Umsiedlung von Syrern aus der Türkei in EU-Staaten zu beginnen und insgesamt großzügiger vorzugehen.

 

Der «Club der Willigen» steht allen 28 Mitgliedstaaten offen. Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft, die vom 1. Januar an die Amtsgeschäfte der Union führt, wird eine Arbeitsgruppe einsetzen.

 

In der Türkei sind rund zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien untergekommen. Um ihre Situation zu verbessern, wird die EU dem Land mit drei Milliarden Euro helfen. Die EU und die Türkei hatten bei einem Sondergipfel Ende November ihren Beziehungen neuen Schwung verliehen. Schon damals war von den Kontingenten die Rede gewesen.

 

Zu dem Gespräch in der österreichischen EU-Botschaft kamen außer Merkel und Davutoglu auch Spitzenvertreter aus Luxemburg, Griechenland, Schweden, Belgien, Finnland, Slowenien, Portugal, Frankreich und der Niederlande.

 

Umstritten ist der Vorstoß der EU-Kommission zur Stärkung des europäischen Grenzschutzes. «Falls wir die Vorschläge der Kommission zurückweisen, werden wir eine andere, ähnlich schmerzhafte Lösung finden müssen», sagte Gipfelchef Tusk.

 

Die Pläne sehen vor, dass eine gestärkte europäische Grenzschutzagentur Frontex notfalls auch gegen den Willen betroffener Staaten zur Sicherung der Außengrenzen aktiv werden kann. Länder wie Tusks Heimatland Polen oder Ungarn kritisieren den Vorstoß. «Europa kann nicht verletzbar bleiben, da Schengen-Staaten nicht in der Lage sind, ihre Grenzen zu schützen», sagte Tusk.

 

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hält nicht viel von der Idee, Mitgliedsländer mit finanziellem Druck zur schnelleren Umsetzung der vereinbarten Verteilung von Flüchtlingen zu zwingen. «Ich mag diese Drohegebärde nicht so», sagte der Luxemburger.

 

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hatte zuvor angedeutet, dass finanzielle Konsequenzen für Länder denkbar seien, die keinen Beitrag zur Bewältigung der Flüchtlingskrise leisten wollten. «Wer unter dem Strich mehr Geld aus dem EU-Haushalt erhält als einzahlt, sollte sich bei einer fairen Verteilung der Flüchtlinge nicht einfach wegducken», sagte er der «Welt».

 

Die vor rund drei Monaten vereinbarte Verteilung von 160 000 Flüchtlingen auf EU-Länder kommt nur äußerst schleppend voran. Einige mittel- und osteuropäische Staaten sperren sich. Bisher wurden nach EU-Angaben nur 208 Personen umgesiedelt. (DPA)