Analyse: Karlsruhe macht ernst

Die Richter in Karlsruhe haben eine sehr lange mündliche Hauptverhandlung anberaumt. Foto: Uli Deck
Die Richter in Karlsruhe haben eine sehr lange mündliche Hauptverhandlung anberaumt. Foto: Uli Deck

Die Ministerpräsidenten der Länder können aufatmen - vorerst. Denn in Sachen NPD-Verbotsverfahren hat Karlsruhe das Hauptverfahren eröffnet und eine sehr lange mündliche Hauptverhandlung anberaumt: Drei Tage soll sie gehen. Die Länder sind damit einen wichtigen Verfahrensschritt weiter - doch die Kuh ist für sie noch lange nicht vom Eis, ein Verbot der Partei noch lange nicht ausgemacht. Die Unwägbarkeiten sind nach wie vor groß. Die Richter haben einen großen Klärungsbedarf, wie aus der Verhandlungsgliederung hervor-geht.

So will Karlsruhe gleich zu Beginn klären, welchen Einfluss Verbindungsleute des Verfassungsschutzes auf die NPD haben oder hatten. Auch wollen die Richter wissen, ob deshalb womöglich die Prozessstrategie der rechtsextremen Partei ausgespäht werden konnte. Das wäre ein nicht hinnehmbarer Vorteil für die Länder.


Die Länderkammer versuchte dies durch teils geschwärztes Material zu beweisen: Im Vorfeld des Verbotsantrags hätten die Sicherheitsbehörden alle elf Informanten im Bundes- und in den Landesvorständen spätestens im Dezember 2012 abgezogen und damit die Informationsbeziehungen beendet, heißt es. Arbeitsabläufe und Verfahren etwa zu den Abschaltungen werden dargestellt.


Die Frage nach den V-Leuten gilt als sehr heikel. Denn das erste NPD-Verbotsverfahren von Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag 2003 war daran gescheitert, dass der Verfassungsschutz Spitzel in der Parteispitze hatte und diese auch in einer mündlichen Verhandlung nicht namentlich offenlegen wollte. So groß waren nach dieser Niederlage die Vorbehalte gegenüber einem neuen Verbotsverfahren, dass Bundesregierung und Bundestag sich dem gar nicht erst anschlossen.


Außerdem wollen die Richter prüfen, wie wesensverwandt die NPD mit dem Nationalsozialismus ist, wie sie es mit der Menschenwürde und der Demokratie hält und wie sie zu Asylbewerbern und Migranten steht.


Denn eine Partei kann nach dem Grundgesetz nur dann verboten werden, wenn sie «nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger» darauf aus ist, «die freiheitliche demokratische Grundordnung» Deutschlands zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Sie muss eine aggressiv-kämpferische Haltung gegenüber der geltenden Ordnung einnehmen und ein Klima der Angst erzeugen.


Der Bundesrat hat dies in zahlreichen Nachweisen zu belegen versucht. Im August lieferte er Material nach, um zu beweisen, wie die NPD Flüchtlingen die Menschenwürde abspricht, sie einschüchtert und Gewalt anwendet. Beispiele seien Vorfälle in Dresden im Juli und im sächsischen Heidenau im August. Anschläge auf Asylbewerberheime seien eine konsequente Umsetzung der NPD-Ideologie, «eine ausschließlich rassisch definierte Volksgemeinschaft» zu verwirklichen, wie die Länderkammer dokumentiert. In bestimmten Gegenden im Osten Deutschlands beeinträchtige die NPD demokratische Prozesse. Außerdem schüchtere sie ethnische und religiöse Minderheiten ein.


Darüber hinaus will Karlsruhe aber auch die Verhältnismäßigkeit eines möglichen Verbots prüfen. Auch dies ist ein weiterer schwieriger Punkt, hier hatte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg engere Grenzen gesetzt. Er verlangt, dass die betreffende Partei ihre Ziele auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erreichen kann. Doch so mancher Sportverein hat mehr Mitglieder als die NPD (5200 waren es 2014), zudem ist die Partei nur in einem Länderparlament (Mecklenburg-Vorpommern) vertreten und mit einem Sitz im Europaparlament.


Die Länder sind einen wichtigen Schritt weiter. Doch die politische Diskussion um ein Verbot wird weitergehen. Kritiker meinen, schon der Verbotsantrag allein beschere der schwer angeschlagenen Partei eine allzu große Aufmerksamkeit und mit einem Verbot seien Fremdenhass und braune Denkmuster nicht vertrieben - sie müssten politisch bekämpft werden. Die Befürworter sehen in einem Verbot dagegen ein wichtiges Signal für eine wehrhafte Demokratie. All das wird in Karlsruhe auch auf den Tisch kommen. (DPA)