Kretschmann: Berufsverbote für Radikalenerlass aufarbeiten

Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (Grüne). Foto: R. Wittek/Archiv
Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann (Grüne). Foto: R. Wittek/Archiv

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) spricht sich für eine Aufarbeitung der Berufsverbote gegen vermeintliche oder tatsächliche Staatsfeinde in den 70er Jahren aus. Kretschmann war Mitte der 1970er Jahre selbst als angehender Referendar im Schuldienst von einem Berufsverbot bedroht, weil er Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) war. «Ich halte eine wissenschaftliche Aufarbeitung auch aus der Sicht der Landesverwaltung für wünschenswert», sagte der Regierungschef der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

Jedoch könne dies eine Landesregierung in der notwendigen Tiefe und Seriosität nicht leisten, damit müsse die Wissenschaft beauftragt werden.


Forscher seien mit äußerst schwierigen Datenschutzproblemen konfrontiert und müssten eine Vielzahl an Fällen aufarbeiten, erläuterte der Regierungschef. Damit reagierte er auf die Forderung von Betroffenen, die ihn vor kurzem aufgefordert hatten, sich für die Aufarbeitung des sogenannten Radikalerlasses aus dem Jahr 1972 und seine Folgen einzusetzen.


Zum Teil sei das Vorgehen gegen Menschen mit linken Ansichten hysterisch gewesen, in seinem eigenen Fall allerdings berechtigt, sagte Kretschmann. «Warum hätte der Staat damals jemanden einstellen sollen, der im KBW für die Diktatur des Proletariats eintrat?» Der Lehrer für Chemie und Biologie fügte hinzu: «So jemand kann doch nicht in den Staatsdienst.» In die Referendarausbildung an der Universität Stuttgart-Hohenheim und den Schuldienst sei er dann doch gekommen, «weil ich mich von diesem Club abgewendet habe».


Diesem «Club» gehörten auch andere später prominente Politiker an, so der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer, die Ex-Gesundheitsministerin Ulla-Schmidt (SPD) und die ehemalige Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Krista Sager. Kretschmann sagte zu seinem ehemaligen Engagement in der maoistisch orientierten Gruppe, die sich der Weltrevolution verschrieben hatte: «Das war einer meine großen politischen Irrtümer.»


Eine Betroffenen-Initiative mit dem Namen «40 Jahre Radikalenerlass», hatte Kretschmann vorgeworfen, er wolle die Vergangenheit nicht mehr wahrhaben. Kretschmann habe das Anliegen abgetan mit der Begründung, es gebe keine Dokumente mehr aus der Zeit. Dies entspreche aber nicht den Tatsachen, es gebe etliche Unterlagen - Vorladungen, Klagen, Urteile.


Laut «Stuttgarter Zeitung» sind im Landesarchiv 2000 Unterlagen zum Thema Berufsverbote gelagert, eine davon zum Fall «Kretschmann, Winfried, Echterdingen». Die Akte umfasst demnach Schriftstücke des Landesamtes für Verfassungsschutz, des Oberschulamtes Stuttgart und des Landesinnenministeriums sowie gesammelte Flugblätter. In Niedersachsen werde das Thema bereits wissenschaftlich aufgearbeitet, hatten die Betroffenen argumentiert. Dem Zusammenschluss geht es auch um eine Entschuldigung von Grün-Rot als Rechtsnachfolger voriger Landesregierungen und um eine Entschädigung in Einzelfällen.


Am 28. Januar 1972 hatten der damalige Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder die «Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst» beschlossen. Danach konnte nur Beamter sein und werden, «wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt». Folge waren laut der Initiative 11 000 offizielle Berufsverbotsverfahren; mehrere Hundert davon gab es in Baden-Württemberg, insbesondere unter der Regierung von Ministerpräsident Hans Filbinger (1966-1978). Betroffen waren viele Lehrer. (DPA/LSW)