Empörung in Deutschland über U-Haft für Yücel

Plakate für die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen Journalisten Deniz Yücel. Foto: Ole Spata
Plakate für die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen Journalisten Deniz Yücel. Foto: Ole Spata

Die Rufe nach einer Freilassung des in der Türkei verhafteten «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel werden lauter. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sagte in Berlin, das Verhältnis beider Länder «steht gerade vor einer der größten Belastungsproben in der Gegenwart».

Er ließ den türkischen Botschafter zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt zitieren. Auch der Bundestag soll sich in der kommenden Woche mit dem Fall befassen. In mehreren Städten gab es Autokorsos zur Unterstützung Yücels.

«Deniz Yücel muss freigelassen werden - genauso wie all die anderen mit fadenscheinigen Begründungen festgenommenen Journalisten», sagte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz den Dortmunder «Ruhr Nachrichten».

 

Bundespräsident Joachim Gauck verurteilte die Inhaftierung scharf. «Wir können in Deutschland nicht nachvollziehen, warum diese Attacke auf die Pressefreiheit notwendig ist. Uns fehlt das Verständnis», sagte Gauck am Dienstagabend vor Korrespondenten ausländischer Medien im Schloss Bellevue. «Was derzeit in der Türkei passiert, weckt erhebliche Zweifel, ob die Türkei ein Rechtsstaat bleiben will», betonte er. «Ich habe große Besorgnis.» Jede Regierung in Deutschland werde immer ein Anwalt der Pressefreiheit sein - «und auch der Präsident».

 

In Köln protestierten Demonstranten in etwa 50 Autos gegen die Untersuchungshaft. «Unser Kollege Deniz Yücel liebt Autokorsos», sagte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Frank Überall, der selber mitfuhr. Knapp 70 Wagen nahmen laut Polizei in Frankfurt an der Kundgebung teil. Aktionen gab es auch in weiteren Städten.

 

Grünen-Parteichef Cem Özdemir rief die Bundesregierung in der «Bild»-Zeitung dazu auf, die Freilassung Yücels zu fordern. In der «Welt» verlangte er von den Deutschland lebenden Türken ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaat. «Wie (Präsident Recep Tayyip) Erdogans Demokratieverständnis aussieht, sehen wir auch in seinem Umgang mit der Presse.»

 

Mit Blick auf das Referendum am 16. April, das über das Einführen eines Präsidialsystems in der Türkei entscheidet, appellierte er an die Türken in Deutschland: «Nehmt den Menschen in der Türkei nicht die Freiheit und Demokratie, die ihr hier in Deutschland genießt. Geht wählen beim Referendum in der Türkei, aber wählt die Demokratie und sagt Nein zu Willkür, Unterdrückung und Intoleranz.»

 

Yücel war am Montag nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam in Untersuchungshaft genommen worden. Diese kann fünf Jahre dauern, bis es zur Freilassung oder zu einem Prozess kommt, in dem die Schuldfrage geklärt wird. Dem 43-jährigen Korrespondenten werden der «Welt» zufolge «Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung» vorgeworfen. Yücel besitzt die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist.

 

Führende Regierungspolitiker hatten sich noch am Montagabend kritisch geäußert. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Anordnung der Haft «bitter und enttäuschend». Die Regierung hoffe, dass Yücel schnell frei komme. «Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat.» Justizminister Heiko Maas (SPD) nannte den Umgang mit dem Journalisten «völlig unverhältnismäßig». Kritische Berichterstattung sei «fundamentaler Bestandteil demokratischer Willensbildung», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

 

FDP-Chef Christian Lindner begrüßte die Aussagen der Bundesregierung. Er forderte sie nun auf, einen möglichen Auftritt des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland zu stoppen: «Die Bundesregierung kann und muss das verhindern», sagte er der «Heilbronner Stimme».

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte den Haftbefehl «inakzeptabel». Reporter ohne Grenzen erklärte: «Dass ein Korrespondent einer namhaften ausländischen Redaktion sich jetzt gegen solche Anschuldigungen erwehren muss, bedeutet eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen hinausgeht.» Yücel und alle anderen inhaftierten Journalisten müssten sofort freigelassen werden, forderte RoG-Geschäftsführer Christian Mihr.

 

Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bezeichnete das Vorgehen der türkischen Justiz als «Mechanismus der Einschüchterung» eines autokratischen Systems. «Sein Fall ist kein Einzelfall, er ist Teil eines Systems, von neuer Qualität ist er nur deshalb, weil hier der Korrespondent einer nichttürkischen Zeitung betroffen ist», schrieb der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger in einem auf welt.de veröffentlichten Beitrag.

Der Bundestag wird sich in der kommenden Woche voraussichtlich mit dem Fall Yücel befassen. Das kündigte Bundestagspräsident Norbert Lammert in der «Rheinischen Post» (Mittwoch) an. Beantragt hatte die Aktuelle Stunde die Fraktion der Linken.

 

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische türkische Journalisten sitzen in Haft. Yücel hatte sich am 14. Februar bei der Polizei in Istanbul gemeldet, weil nach ihm gefahndet worden war. Er wurde festgenommen. (DPA)