Online-Sprechstunden sollen Hausärztemangel abfedern

Die Digitalisierung kann aus Sicht der Techniker Krankenkasse Engpässe bei den Hausärzten insbesondere auf dem Land abfedern. «Die Zahl der Ärzte wird kleiner, die der Patienten größer, da kann Fernbehandlung in der Fläche für Entlastung sorgen», sagte der Landeschef der Techniker Krankenkasse Andreas Vogt der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Den Schritt ins digitale Zeitalter ermöglicht die Landesärztekammer: Sie hat als erste in Deutschland den Beschluss gefasst, Ausnahmen vom Fernbehandlungsverbot zu erlauben. Aus Sicht von Vogt ist das ein erster Meilenstein in der Digitalisierung des Gesundheitswesens, die in Deutschland und Baden-Württemberg noch in den Kinderschuhen stecke. Die digitale Revolution sei in anderen Branchen sehr viel weiter, etwa im Banken- und Versicherungswesen.

 

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg organisiert mindestens zwei Modellversuche zu Online-Sprechstunden, davon einer in der Stadt, einer im ländlichen Raum. Dabei können sich Patienten von Mitte kommenden Jahres an über das Telefon oder online behandeln lassen, ohne den Arzt jemals zuvor persönlich getroffen zu haben. «Die Nachfrage ist da», sagt Kai Sonntag von der KV. Für die Umsetzung werde möglicherweise das bereits vorhandene Bürgertelefon der KV in eine Art telemedizinisches Call-Center ausgeweitet.

 

Anruf beim Arzt, Terminfindung, Wartezimmer mit Ansteckungsgefahr - für den Patienten ist nach Einschätzung Sonntags das bisherige System sehr aufwendig. Mit der Ferndiagnose werde das wesentlich einfacher. «Viele Probleme sind am Telefon zu lösen», weiß auch TK-Chef Vogt. So könnten einfachere Erkrankungen häufig über das Telefon diagnostiziert werden. «Das ist eine Schlüsselqualifikation für Ärzte, die in der Telemedizin tätig sind.» Überdies könnten sich die Praxismediziner auf die Patienten konzentrieren, die direkte Behandlung erfordern. Die TK hat bereits erste Erfahrungen mit einem Video-Chat-Angebot von Hautärzten gesammelt. Vogt: «Solche Insellösungen sind wichtig, aber langfristig brauchen wir flächendeckende Angebote.»

 

Aufgabe der Ärzte in dem geplanten Call-System wäre es, nach der Erstdiagnose zu entscheiden, ob und an welche weitere Stelle der Patient im Gesundheitswesen zu lotsen ist. Vogt erläutert: «Auch die überlasteten Notfallambulanzen an den Krankenhäusern könnten von digitalen Angeboten profitieren, die die Patienten an die richtige Adresse führen.»

 

Für große, vor allem ältere Patientengruppen sei die telefonische Bereitschaft noch keine Lösung. «Aber es werden immer mehr Menschen mit hoher digitaler Affinität nachwachsen und dann brauchen wir entsprechende Angebote.» Nach einer TK-Umfrage kann sich bislang ein Drittel der Menschen Arztgespräche per Telefon oder Online-Chat vorstellen. Nach Angaben der KV hat das Schweizer Modell namens Medgate gezeigt, dass immerhin 40 Prozent der Patienten allein mit der Telefonbehandlung auskommen.

 

Vogt sieht auch in der stationären Versorgung Vorteile infolge der Digitalisierung, vor allem durch die Vernetzung der Kliniken. So könnten Experten aus anderen Kliniken zur Diagnose und Behandlung zugeschaltet werden. «Wir wünschen uns, dass Land diesen Prozess der Vernetzung unterstützt, etwa mit zehn Prozent der regulären Landeskrankenhausförderung.» (DPA/LSW)