Verband: Gewalt gegen Lehrer nimmt zu

Blick in einen leeren Klassenraum, wo die Stühle auf den Bänken stehen. Foto: Patrick Pleul/Archiv
Blick in einen leeren Klassenraum, wo die Stühle auf den Bänken stehen. Foto: Patrick Pleul/Archiv

Stuttgart (dpa/lsw) - Schläge in den Magen, Tritte vors Schienbein, Schmähung im Internet: Jeder fünfte Lehrer im Südwesten ist schon von Schülern beleidigt und gemobbt worden; körperliche Gewalt haben vier Prozent der Lehrer erlitten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Die Gewalt und Aggressivität gegen Pädagogen nehme zu, sagte VBE-Landeschef Gerhard Brand bei der Vorstellung der Umfrage am Montag in Stuttgart.

In absoluten Zahlen seien an öffentlichen Schulen 3800 Opfer von tätlichen Übergriffen zu verzeichnen. «Gewalttaten gegen Lehrkräfte sind keine Einzelfälle. Es trifft Menschen mit Gesichtern, mit Geschichten und mit Würde», fügte der Vize-Bundeschef des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) hinzu.

 

Dennoch werde das Phänomen von Betroffenen verheimlicht, von staatlichen Stellen kleingeredet und vom Kultusministerium nicht genug beachtet. «Ein Alarmsignal an die Politik ist die Einschätzung von 59 Prozent der befragten Lehrkräfte in Baden-Württemberg, dass Gewalt gegen Lehrkräfte ein Tabu-Thema ist.» Oft werde ein Vorfall nicht gemeldet aus Furcht, dem Ruf der Schule zu schaden. Die Betroffenen reagierten nicht selten mit Rückzug, Depression und Kappen sozialer Kontakte. Dabei reagierten die älteren Kollegen sensibler auf verbale Angriffe als die jüngeren. «Der Dienstherr muss sich schützend vor und vor allem unterstützend hinter die Lehrkräfte stellen», betonte Brand.

 

Nach der Umfrage haben das höchste Potenzial psychischer Gewalt Hauptschulen, Gemeinschaftsschulen und Förderschulen. Verstörend ist für Brand, dass die Lehrer auch in Grundschulen nicht vor verbalen oder körperlichen Attacken sicher sind. Bundesweit haben zwölf Prozent der Grundschullehrer schon Erfahrungen mit einem physischen Angriff gemacht - etwa Treten, Beißen, Spucken.

 

Keinerlei Unrechtsbewusstsein zeigten die Schüler beim Cybermobbing. Fast jede dritte Lehrkraft im Südwesten berichtet laut Umfrage über Fälle von Beleidigungen im Internet an der eigenen Schule. Die Dunkelziffer sei sehr hoch, weil viele Kollegen gar nicht im Internet auf den einschlägigen Seiten unterwegs seien. Brand forderte eine Initiative für bessere Medien-Kompetenz der Schüler.

 

Neben Zahlen für Baden-Württemberg gibt es auch Erhebungen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen sowie dem Bund. Insgesamt wurden knapp 2000 Lehrer befragt, jeweils 500 in den Bundesländern und 500 im gesamten Bundesgebiet.

 

Brand forderte ein Art Leitlinie des Ministeriums für den Umgang mit Fällen von Gewalt gegen Lehrer, in der die Ansprechpartner für die Betroffenen und die Schulen aufgelistet seien. Als letzte Instanz müsse bei schweren Angriffen auch eine Anzeige bei der Polizei infrage kommen. «Sie sind die Profis im Umgang mit Konflikten.»

 

Weniger leicht sei die Kooperation mit den Eltern gewalttätiger Schüler. Das seien gewöhnlich jene, die keinen Kontakt mit der Schule suchten. Sie gehörten auch zur Gruppe der Täter: 54 Prozent der befragten Lehrkräfte gaben an, von Vätern oder Müttern beleidigt worden zu sein.

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) beklagte eine «mangelnde Wertschätzung der Lehrer bei vielen Eltern». In vielen Familien fehle der Respekt gegenüber den Lehrkräften, sagte die CDU-Politikerin im «Mannheimer Morgen» und «Heilbronner Stimme».

 

Es sei für Sozialarbeiter leichter, das Gespräch mit den Eltern zu suchen .«Die haben wir aber nicht», kritisierte Brand. Dabei seien multiprofessionelle Teams nicht nur mit Sozialarbeitern, sondern auch mit Sonderpädagogen, Schulpsychologen und weiterem pädagogischen Personal geboten, um die steigenden Herausforderungen an Schule, unter anderem Integration von Flüchtlingskindern und behinderten jungen Menschen, bewältigen zu können. 68 Prozent der Befragten hielten das für sinnvoll, aber nur 41 Prozent der Pädagogen arbeiteten so. Die Landtags-FDP pochte auf die Schlüsselrolle der Schulpsychologen, um Gewalt gegen Lehrer vorzubeugen.

 

Die Vorfälle müssten verpflichtend gemeldet und öffentlich gemacht werden. Das Kultusministerium müsse sich daran messen lassen, ob die Zahlen in fünf Jahren kleiner sind als heute. (DPA/LSW)