Berlin nennt Türkei «zentrale Aktionsplattform» für Islamisten

Demonstration in Istanbul: Die Bundesregierung sieht die Türkei einem Medienbericht zufolge inzwischen als «zentrale Aktionsplattform» für islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten. Foto: Sedat Suna/Archiv
Demonstration in Istanbul: Die Bundesregierung sieht die Türkei einem Medienbericht zufolge inzwischen als «zentrale Aktionsplattform» für islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten. Foto: Sedat Suna/Archiv

Die Bundesregierung sieht die Türkei unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als «zentrale Aktionsplattform» für islamistische und terroristische Organisationen im Nahen Osten. Das geht aus einer vertraulichen Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Zuerst hatte die ARD darüber berichtet. Ankara arbeitet demnach seit Jahren mit Islamisten zusammen. Der Bericht könnte das angespannte diplomatische Klima zwischen Berlin und Ankara weiter verschlechtern. Die Opposition fordert vehement ein Ende des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei.

 

Zwischen Bundesinnen- und Außenministerium gab es Irritationen wegen der vom Innenressort für die Regierung übermittelten und nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Antwort. Das Ministerium von Thomas de Maizière (CDU) räumte am Abend eine regierungsinterne Kommunikationspanne im Zusammenhang mit der brisanten Einschätzung ein. «Auf Grund eines Büroversehens im BMI ist die Beteiligung des Auswärtigen Amtes an der Schlussfassung nicht zustande gekommen», teilte das Innenressort mit.

 

In der vom Parlamentarischen Innenstaatssekretär Ole Schröder übermittelten und in diesem Abschnitt als vertraulich eingestuften Antwort auf die Linken-Anfrage heißt der Kernsatz: «Als Resultat der vor allem seit dem Jahr 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt.»

 

Und weiter heißt es in der Analyse mit Hervorhebungen in Versalien: «Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen und Unterstützungshandlungen für die ägyptische MB (Muslimbruderschaft), die HAMAS und Gruppen der bewaffneten islamistischen Opposition in Syrien durch die Regierungspartei AKP und Staatspräsident ERDOGAN unterstreichen deren ideologische Affinität zu den Muslimbrüdern.»

 

Damit stellt die Bundesregierung eine direkte Verbindung zwischen Erdogan und einer Terrororganisation her - als solche wird zumindest die Hamas, anders als in der Türkei, seit 2003 in der Europäischen Union eingestuft. Die Stellungnahme basiert auf Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND).

 

Die Einschätzung ist auch deswegen heikel, weil die Opposition Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) seit Beginn der Flüchtlingskrise vorwirft, sich mit kritischen Äußerungen über Erdogan zu sehr zurückzuhalten. Die Bundesregierung habe sich mit dem von Merkel initiierten EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei von Erdogan abhängig gemacht.

 

Die Linksfraktion fühlt sich in ihrer Kritik bestätigt. Deren außenpolitische Sprecherin Sevim Dagdelen sagte der dpa, es könne nicht angehen, dass die Bundesregierung öffentlich «den Terrorpaten Erdogan als Partner bezeichnet, während man intern vor der Türkei als Drehscheibe des bewaffneten Islamismus warnt». Die Antworten der Bundesregierung «schreien geradezu nach einer radikalen Wende in der Türkeipolitik».

 

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sagte, die mit dem Flüchtlingspakt verbundenen Verhandlungen über eine Visa-Liberalisierung könnten so nicht fortgesetzt werden. Die Annäherung des Landes an die EU dürfe aber nicht aufgegeben werden, sagte er im Deutschlandradio. «Wir können nur Einfluss bewahren, indem wir den Dialog mit der Türkei aufrecht erhalten.»

 

FDP-Chef Christian Lindner sagte der dpa, de Maizière und Steinmeier müssten Parlament und Öffentlichkeit darüber unterrichten, «wenn es zutrifft, dass ein Land islamistischen Terrorismus goutiert, in dem deutsche Soldaten stationiert sind und das unser Nato-Partner ist».

 

Die Türkei muss sich immer wieder gegen Vorwürfe verteidigen, sie liefere Waffen auch an in Syrien kämpfende Terrorgruppen. Im Falle der Hamas dagegen hat die türkische Regierung eine grundlegend andere Einschätzung als Israel und der Westen: In Ankara wird die Hamas als legitime Vertretung des palästinensischen Volkes betrachtet, das sich gegen die israelischen Besatzer wehre. Noch in seiner Zeit als Regierungschef hat Erdogan den Hamas-Spitzenpolitiker Ismael Hanija in Ankara mit brüderlichen Gesten empfangen. (DPA)