Länder bleiben hart: Kein Geld für Fonds sexueller Missbrauch

Trotz drohender Ebbe im Hilfsfonds für die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs in Familien lehnen viele Bundesländer eine finanzielle Beteiligung weiter ab. Foto: Daniel Bockwoldt/Illustration
Trotz drohender Ebbe im Hilfsfonds für die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs in Familien lehnen viele Bundesländer eine finanzielle Beteiligung weiter ab. Foto: Daniel Bockwoldt/Illustration

Trotz drohender Finanzierungsprobleme im Hilfsfonds für die Opfer sexuellen Kindesmissbrauchs in Familien lehnen viele Bundesländer eine finanzielle Beteiligung weiter hartnäckig ab. Bisher stellte der Bund rund 50 Millionen Euro für Therapien und Lebenshilfe bereit. Mecklenburg-Vorpommern und Bayern zahlten zusammen rund acht Millionen ein. Alle anderen Bundesländer verweigern jedoch Zahlungen - oft mit Hinweis auf die Verantwortung des Bundes.

Die meisten wollen, wenn überhaupt, für Missbrauchsopfer an staatlichen Schulen, Kindergärten und anderen Institutionen des Landes zahlen, ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur.

 

Fast 6000 Menschen, die in Kindheit und Jugend in ihren Familien sexuell missbraucht wurden, haben seit 2013 Anträge an den Fonds gestellt. Pro Betroffenem wird mit bis zu 10 000 Euro an Sachleistungen kalkuliert. Da die Antragsfrist im April verlängert wurde, könnte der Fonds bald leer sein.

 

Doch 14 Bundesländer sträuben sich dennoch, in ihn einzuzahlen. Es gebe keine Staatshaftung für den familiären Bereich, argumentiert das Thüringer Jugendministerium. Der Fonds sei mit zu heißer Nadel gestrickt, bemängelt das Sozialministerium in Baden-Württemberg. Das zeige sich schon daran, dass bisher nur zwei Länder gezahlt hätten. Schleswig-Holstein will dagegen nur zahlen, wenn alle anderen Länder auch dabei sind.

 

Hessen und Brandenburg fühlen sich an den ausgelaufenen Fonds Heimerziehung erinnert. Dieser Fonds für die Opfer von Gewalt und Unrecht in Kinderheimen musste wegen vieler Anträge zweimal aufgestockt werden. Es sollten nicht weitere befristete Sondersysteme geschaffen werden, heißt es aus Hessen. Der Bund solle deshalb das Opferentschädigungsgesetz neu regeln.

 

Die angedachte Reform hat es seit dem runden Tisch sexueller Kindesmissbrauch im Jahr 2011 bisher allerdings nicht gegeben. «Viele Bundesländer verstecken sich hinter dem Opferentschädigungsgesetz», sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Damit benutzten sie das Leid von Betroffenen als Druckmittel gegen die Bundespolitik. «Das hat mit Menschlichkeit nichts zu tun.»

 

Das Entschädigungsgesetz eigne sich auch grundsätzlich nicht für Opfer sexueller Gewalt, urteilt Rörig. Denn die zuständigen Landesversorgungsämter seien vor allem auf Folgen allgemeiner Gewalttaten wie Raubüberfall oder Körperverletzung eingestellt.

 

So sei es dort beispielsweise leicht nachvollziehbar, dass ein Mensch Zahnersatz brauche, wenn ihm die Zähne ausgeschlagen wurden. Für Missbrauchsopfer sei es hingegen schwer zu belegen, dass ihnen Zähne ausfielen, weil sexuelle Gewalt zu Magersucht und Mangelernährung führten. «Es kann nicht sein, dass es im Strafrecht heißt: Im Zweifel für den Angeklagten. Und im Sozialrecht: Im Zweifel muss der Staat nicht zahlen», so Rörig. Für den Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten berichtet Kerstin Claus von Schwierigkeiten mit dem Entschädigungsgesetz. «Die Taten liegen weit in der Vergangenheit. Selten gibt es Zeugen», sagt sie. Die Prüfung von Glaubhaftigkeit sei für durch sexuellem Missbrauch schwer traumatisierte Menschen kaum auszuhalten - noch dazu von wenig geschulten Beamten.

 

Rheinland-Pfalz sieht im Opferentschädigungsgesetz dagegen einen «unbürokratischen Zugang» zu Hilfe für Missbrauchsopfer. Hamburg hält das Antragsverfahren für leichter als bei Fonds.

 

2011 wurden 100 Millionen Euro für den Fonds sexueller Missbrauch zugesagt. Es gab aber keine Zahlungsverpflichtung, allein einen moralischen Appell an gesamtgesellschaftliche Verantwortung. «Säumig ist man nur, wenn man Zahlungsverpflichtungen eingegangen ist, denen man nicht nachkommt», heißt es dazu aus dem Bremer Sozialressort.

 

Das sächsische Sozialministerium hat fachliche Bedenken bei der Einbeziehung der Missbrauchsopfer in Familien. «Unter anderem führt es zu einer Ungleichbehandlung und finanziellen Besserstellung unterschiedlicher Opfergruppen familiärer Gewalt», sagt eine Sprecherin.

 

Viele Bundesländer, darunter Berlin, betonen, dass sie bereits für Missbrauchsopfer zahlen: Für jene, die in staatlichen Institutionen sexuelle Gewalt erfuhren. Wobei es dabei allein um Landesbedienstete als Täter geht - nicht um kommunale Angestellte. Das finanzielle Risiko ist für die Länder dabei deutlich kleiner. Die Anträge machten bisher drei Prozent aller Hilfeersuchen aus, sagt Kerstin Claus vom Betroffenenrat. Und die Antragsfrist für Institutionen läuft im August ohnehin aus. Eine Verlängerung ist bisher nicht vorgesehen.

 

In Deutschland haben nach Schätzungen mehr als eine Million Menschen sexuellen Missbrauch erlebt. Deshalb mag die Stellungnahme aus Brandenburg verwundern. «Es gibt für den Fonds Opfer von Missbrauch in Familien in Brandenburg nur einen Fall aus dem Jahr 1981», sagt ein Regierungssprecher. Darum gebe es keinen Grund, sich an bundesweiten Lösungen zu beteiligen. (DPA)