WADA wirf IAAF Komplettversagen vor: «Vetternwirtschaft»

Kommissionsleiter Richard Pound präsentiert den zweiten Teil der Ergebnisse des WADA-Reports in Unterschleißheim. Foto: Sven Hoppe
Kommissionsleiter Richard Pound präsentiert den zweiten Teil der Ergebnisse des WADA-Reports in Unterschleißheim. Foto: Sven Hoppe

An der Spitze des Leichtathletik- Weltverbandes IAAF hat es über viele Jahre ein System krimineller Machenschaften gegeben. Im Fokus des zweiten Berichts der WADA-Untersuchungs-kommission steht der frühere IAAF-Präsident Lamine Diack, der über Jahre Korruption und Vetternwirtschaft betrieben haben soll. So habe der Senegalese zusammen mit seinen eigenen Söhnen und engen persönlichen Beratern eine Art Schattenregierung neben den offiziellen IAAF-Strukturen gebildet. Diesem kleinen Kreis war es laut WADA-Report möglich, wahlweise das große Doping-System in Russland zu vertuschen oder sogar einzelne Athleten zu erpressen.

 

In dem neuen, am 14. Januar von der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA in Unterschleißheim präsentierten Report wird angeprangert, dass die IAAF im Kampf gegen Doping und Korruption total versagt hat. Den Spitzenfunktionären im IAAF-Council wird vorgeworfen, die Missstände innerhalb des Verbandes geduldet zu haben. «Dem IAAF-Council konnte das Niveau der Vetternwirtschaft nicht verborgen geblieben sein», heißt es in dem WADA-Report. Damit steht auch Diack-Nachfolger Sebastian Coe, der bei der Pressekonferenz unter den rund 100 Journalisten saß, weiter unter Druck.

 

Der Brite war von 2007 bis 2015 Vizepräsident der IAAF. Trotzdem erhielt er vom Vorsitzenden der WADA-Kommission Rückendeckung. «Meine Auffassung ist die: Wenn er von der Korruption gewusst hätte, hätte er etwas dagegen getan», sagte Chefermittler Richard Pound. Er traut Coe zu, die IAAF aus der Krise zu führen: «Ich kann mir keinen Besseren vorstellen als Lord Coe.» Der Skandal biete die «fantastische Chance», den Sport nun zu säubern.

 

Coe sprach sich für ein von der IAAF unabhängiges Anti-Doping-System aus. Es sei noch «ein langer Weg» im Kampf gegen Doping. «Ich bin der Kommission sehr dankbar für die gewissenhafte Arbeit, die uns helfen wird, die Komplexität der Aufgabe zu verstehen, vor der wir stehen», sagte der Macher der Olympischen Spiele 2012 in London.

 

Die WADA-Ermittler prangerten an, dass es einen «kompletten Zusammenbruch der Führungsstrukturen und das Fehlen von Verantwortlichkeit innerhalb der IAAF» gab. Es habe einen «gravierenden Mangel an politischem Appetit» gegeben, Russland mit «dem vollen Ausmaß seiner bekannten und befürchteten Dopingaktivitäten zu konfrontieren».

 

Auch auf Korruption habe die Führung des Weltverbandes «unzulänglich» reagiert. Das Fehlen «jedweder Kontrolle und Gewaltenteilung innerhalb der IAAF» habe Diack eine Alleinherrschaft ermöglicht. Er habe unbehelligt «direkt in die Arbeit und in die Besetzung der Anti-Doping-Abteilung eingreifen» sowie dadurch «im persönlichen Interesse» Verträge mit Beratern abschließen können.

 

Der Einfluss von Diack sei so groß gewesen, dass er in der Lage war, ohne Gegenwind zwei Mitglieder seiner Familie und seinen persönlichen Anwalt auf wichtigen Positionen zu platzieren. «Mit Hilfe dieser engen Berater und Anwälte hat Präsident Diack einen geschlossenen, inneren Kreis aufbauen können, der wie eine informelle und illegitime Regierung außerhalb der IAAF-Strukturen funktionierte», hieß es.

 

Laut WADA-Report gibt es Anhaltspunkte dafür, dass hochrangige IAAF-Offizielle von Entscheidungen profitiert haben, Weltmeisterschaften an bestimmte Städte oder Länder zu vergeben. Die Korruption habe auch Olympische Spiele betroffen: Aus Mitschriften gehe hervor, dass die Türkei die Unterstützung von Diack im Bewerbungsprozess um die Olympischen Spiele 2020 verloren habe. Das Land sei nicht bereit gewesen, einen entsprechenden Sponsorenbetrag «von 4 bis 5 Millionen Dollar» für die Diamond League oder die IAAF zu überweisen. Japan habe diese Summe laut Gesprächsprotokoll dann gezahlt - Tokio erhielt den Zuschlag für die Sommerspiele 2020.

 

Die IAAF war in Misskredit geraten, weil Ex-Präsident Diack von der französischen Justiz wegen der Vertuschung von Doping-Fällen gegen Bezahlung angeklagt wurde. Damit soll ermöglicht worden sein, dass russische Athleten trotz positiver Doping-Tests bei den Olympischen Spielen 2012 in London und bei der WM 2013 in Moskau starten konnten.

 

Das Pound-Dreiergremium, dem noch Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger angehört, hatte am 9. November 2015 einen Bericht zum systematischen Doping in Russlands Leichtathletik vorgelegt. Die IAAF suspendierte daraufhin Russlands Verband.

 

«Auch wenn im IAAF-Council von einzelnen Vorgängen nichts gewusst wurde, sehe ich doch eine politische Verantwortung der Mitglieder: Warum hat man zugelassen, dass Diack schalten und walten konnte, wie er wollte?», sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), zu den WADA-Ermittlungen. Angesichts der vielen Anschuldigungen gegen die IAAF wird der DLV einen außerordentlichen Kongress des Weltverbandes IAAF beantragen.

 

Auch der deutsche Sportfunktionär Helmut Digel gehörte dem IAAF-Council 20 Jahre lang - bis August 2015 - an. Er bestreitet vehement eine Mitwisserschaft. «Wer so eine Behauptung in den Raum stellt, muss die auch belegen. Ich für meine Person weise das in aller Entschiedenheit zurück», sagte Wissenschaftler aus Tübingen.

Der Deutsche Olympische Sportbund forderte «tiefgreifende Reformen in der IAAF mit transparenten Strukturen, die Machtkonzentration auf einzelne Personen ausschließen», erklärte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. Die Nationale Anti-Doping-Agentur plädierte für «unabhängige Anti-Doping-Organisationen» außerhalb der Sportweltverbände». (DPA)