Gut 1000 Flüchtlinge sollen 2016 Lehre starten

Ein geflüchteter Auszubildender mit seiner Ausbilderin. Foto: Tobias Hase/Archiv
Ein geflüchteter Auszubildender mit seiner Ausbilderin. Foto: Tobias Hase/Archiv

Flüchtlinge sollen im kommenden Jahr in Baden-Württemberg deutlich stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden als bisher. Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) und Vertreter aus Wirtschaft und Verwaltung stellten am Mittwoch in Stuttgart ein Maßnahmenpaket vor, auf dessen Grundlage im Herbst 2016 etwa 1100 Flüchtlinge eine Lehre starten könnten. «Das ist für den Einstieg und für diejenigen, die dafür infrage kommen, schon mal ein Wort», sagte der SPD-Politiker.

«Wir denken mittel- bis langfristig, wir denken an die Fachkräfte von morgen und übermorgen.»


Wie viele Flüchtlinge 2015 eine Ausbildung begonnen haben, ist nicht bekannt - hierfür wird bisher keine Statistik geführt. Klar ist aber, dass es wenig gewesen sein dürften. Denn derzeit dürfen in Deutschland Asylbewerber vor ihrer Anerkennung nur unter bestimmten Bedingungen eine Lehrstelle beginnen - wenn dies gelingt, ist ihr Verbleib in Deutschland für die dreijährige Lehrzeit garantiert.


Die grün-rote Landesregierung setzt sich seit längerem dafür ein, diese Garantiezeit auf «3+2» auszudehnen. Flüchtlinge sollten also nach ihrem Ausbildungsende mindestens zwei weitere Jahre bleiben und in der Firma arbeiten dürfen. Schmid räumte ein, sich mit diesem Vorhaben deutschlandweit bisher nicht durchgesetzt zu haben, es habe im Bundesrat Widerstand von unionsgeführten Länder gegeben. «Aber wir werden einen neuen Anlauf unternehmen.»


Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart, Andreas Richter, betonte die Dringlichkeit des «3+2»-Vorhabens. Flüchtlinge würden in hoher Zahl nur dann als Lehrlinge aufgenommen, wenn der Arbeitgeber wisse, dass sich seine Investition in die Ausbildung auch auszahle. Sollte der Verbleib des Flüchtlings nach der Lehre nicht sichergestellt sein, werde dies die Bereitschaft zur Aufnahme in den Firmen beeinträchtigen, so Richter.


Eine Expertengruppe aus Ministerien, Wirtschaft und Gewerkschaften soll künftig dabei unterstützen, Fortschritte bei der Vermittlung von Flüchtlingen auf Lehrstellen zu erzielen. Schmid betonte die Bedeutung von Deutschunterricht. Das Land will hierfür 600 neue Lehrstellen schaffen. Zudem sollen Sozialarbeiter und andere Fachleute vor Ort als sogenannte Kümmerer helfen.


Kultusstaatssekretärin Marion von Wartenberg (SPD) unterstrich, dass die Bereitschaft zur Ausbildung unter Flüchtlingen groß sei. «Die wollen ihr Potenzial einbringen.» Ihr Ministerium arbeitet an einer auf erwachsene Flüchtlinge zugeschnittenen Berufsqualifizierung.


Die Einbeziehung der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt wird eine Herkulesaufgabe - darauf wies Christian Rauch, Chef der Südwest-Arbeitsagentur, anhand von Zahlen hin. Nur etwa 8 Prozent der Flüchtlinge könnten ein Akademikerniveau vorweisen, 11 Prozent brächten Qualifikationen eines Facharbeiters mit. Der Rest falle in die Kategorie «keine beruflichen Kenntnisse», so Rauch. «Wir sehen in den Flüchtlingen die Fachkräfte von übermorgen, man muss investieren in Ausbildung», sagte er. Mit Deutschkurs und Praktika bräuchten die meisten Flüchtlinge mindestens zwei Jahre, um überhaupt fit zu sein für den Start einer Ausbildung.


Zwei praktische Beispiele der gelungenen Flüchtlings-Integration wurden auch noch vorgestellt. Nina Buchert, Chefin der IT-Werkstatt «Mein-Computer-Spinnt.de», schwärmte von einem irakischen Flüchtling, der bei ihr zum IT-Systemelektroniker ausgebildet wird. «Wenn jemand Englisch spricht, kann er bei uns im Prinzip schon arbeiten.»


Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der Kunststoff-Firma Hoffmann GmbH, berichtete mit Blick auf den Fachkräftemangel hierzulande von generellen Problemen bei der Anwerbung guter Azubis. «Die großen Firmen haben den Markt abgeschöpft, der Rest hat sich dann bei uns beworben - die Motivation dieser Menschen ist auch nicht besonders groß gewesen.» In Sachen Azubi-Nachwuchs böten sich dank des Flüchtlingszuzugs nun neue Möglichkeiten. «Wir haben hier jetzt plötzlich ein neues Potenzial sehr interessierter, sehr motivierter Bewerber.» Hoffmann beschäftigt ebenfalls einen Iraker als Azubi.


Auch andere Südwest-Firmen nahmen zum Start des Ausbildungsjahrs in diesem Herbst Asylbewerber auf. So startete beispielsweise ein 28-jähriger Mann aus Gambia bei einer Schreinerei in Tettnang am Bodensee, in einer Ulmer Bäckerei traten drei Asylbewerber aus Eritrea (28), Somalia (25) und Pakistan (31) eine Ausbildung an - nach Angaben der Ulmer Handwerkskammer waren dies die ersten Azubi-Flüchtlinge der Region. Eine Premiere also, die verdeutlicht, dass der Weg zu den angepeilten 1100 Azubi-Flüchtlingen im Südwesten im Herbst 2016 wohl noch weit ist. (DPA/LSW)