Stickelberger: Strafen zur Schleuserkriminalität überprüfen

Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). Foto: Wolfram Kastl/Archiv
Justizminister Rainer Stickelberger (SPD). Foto: Wolfram Kastl/Archiv

Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) will die Strafvorschriften zur Schleuserkriminalität auf den Prüfstand stellen. «Schleuser, die die Not der Flüchtlinge schamlos aus Profitgier ausnutzen, müssen wir mit den Mitteln des Rechtsstaats konsequent verfolgen und zur Rechenschaft ziehen», sagte er. «Noch zu selten wird allerdings über die Fälle nachgedacht, in denen Menschen aus sozialen Gründen handeln», erklärte der Vorsitzende der Justizministerkonferenz der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.

Wer aus altruistischen Gründen tätig werde, begehe nach geltendem Recht erstaunlich schnell eine Straftat, die grundsätzlich mit einer Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren geahndet werden könne. Stickelberger hält das für diskussionswürdig. Bei der Justizministerkonferenz am Donnerstag in Berlin soll besprochen werden, ob die bestehenden Strafvorschriften hinreichend zwischen den humanitären Notlagen einerseits und der Ausnutzung von Notsituationen durch gewinnorientierte Schleuser andererseits unterscheiden.


Zu denken gebe zum Beispiel der mögliche Fall, dass eine deutsche Familie einer befreundeten Familie in Syrien 2000 Euro für die Flucht nach Deutschland schickte und ihr anbiete, in der Bundesrepublik bei ihr unterzukommen. «Das ist nach geltender Rechtslage Schleuserkriminalität. Aber ist es auch strafwürdig?», fragte der Justizminister. Für eine Änderung wäre der Bund zuständig.


Fast jeder Flüchtling begeht formal gesehen durch seine bloße Einreise nach Deutschland eine Straftat, da sie meistens ohne Papiere und aus einem sicheren Drittstaat kommen. Auch hier sieht Stickelberger Handlungsbedarf. «Diese Rechtslage lässt sich nicht ohne weiteres mit dem Grundrecht auf Asyl und der eingeforderten Willkommenskultur in Einklang bringen.» Die meisten Verfahren würden dann zwar eingestellt, weil die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ein Strafaufhebungsgrund sein könne. Aber die Frage sei, ob sich der erhebliche Aufwand bei Polizei und Staatsanwaltschaft reduzieren lasse.


«Es wäre sicher ein falsches Signal zu sagen, wir heben die Strafbarkeit jetzt ohne weitere Prüfung generell auf», sagte Stickelberger. «Was wir aber brauchen, ist eine gründliche und ergebnisoffene Überprüfung der bestehenden Vorschriften.» Möglicherweise sei dann ein Herunterstufen auf eine Ordnungswidrigkeit denkbar. Allein für Baden-Württemberg wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik im vergangenen Jahr 6440 Fälle der illegalen Einreise erfasst. Im ersten Halbjahr 2015 waren es 3614 Fälle - Tendenz steigend.


Baden-Württemberg erwartet im laufenden Jahr nach offizieller Prognose rund 100 000 Flüchtlinge. Es zeichnet sich aber bereits ab, dass diese Zahl übertroffen wird. Die grün-rote Landesregierung will ab dem Jahresbeginn abgelehnte Asylbewerber verstärkt abschieben. Asylbewerber können sich vor dem Verwaltungsgericht gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wehren.


Da die Bearbeitungszeit beim Bamf in der Regel mehrere Monate dauert, erwartet der Justizminister eine große Welle der Gerichtsverfahren in diesem Winter und Frühjahr 2016. Bislang gab es für Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten im Land etwa 43 Stellen. Im Frühjahr wurden 16 neue Stellen geschaffen - mit dem nun anstehenden Nachtragshaushalt sollen noch einmal 10 Stellen hinzukommen. Von großer praktischer Bedeutung sei hier die große Zahl gerichtlicher Eilrechtsschutzverfahren. Erst nach deren - für den Asylbewerber erfolglosen - Abschluss kann mit der Abschiebung begonnen werden. (DPA/LSW)