Swetlana Alexijewitsch erhält Literaturnobelpreis

Swetlana Alexijewitsch auf dem Weg zur Pressekonfererenz in Minsk. Foto: Tatyana Zenkovich
Swetlana Alexijewitsch auf dem Weg zur Pressekonfererenz in Minsk. Foto: Tatyana Zenkovich

Der Literaturnobelpreis geht in diesem Jahr an die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch, eine namhafte literarische Chronistin des Leids und Alltags der zerfallenden Sowjetunion. Die 67-Jährige bekommt den wichtigsten Literaturpreis der Welt «für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt», wie die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mitteilte. Es ist das 14. Mal, dass der Preis an eine Frau geht. Seit Jahren gehörte die Schriftstellerin zu den Favoriten.

«Das ist ganz groß, diesen Preis zu bekommen», sagte Alexijewitsch dem schwedischen Fernsehsender SVT am Telefon, kurz nach der Verkündung. Es sei eine Ehre, in einer Reihe mit großen Schriftstellern wie Boris Pasternak zu stehen. Auf die Neuigkeit, die ihr Nobel-Jurorin Sara Danius per Telefon überbrachte, habe die Preisträgerin mit dem Wort «fantastisch» reagiert, hatte Danius zuvor gesagt.


Danius nannte Alexijewitsch «eine außergewöhnliche Schriftstellerin». «In den vergangenen 30 oder 40 Jahren hat sie sich damit beschäftigt, das Individuum der Post-Sowjet-Zeit zu kartografieren. Aber sie beschreibt keine Geschichte der Ereignisse. Es ist eine Geschichte der Gefühle. Was sie uns bietet, ist eine Welt der Gefühle.»


Alexijewitsch hat einen ganz eigenen literarischen Stil, der mit Collagen das Leid und die Katastrophen der Menschen in ihrer Heimat aufarbeitet. Vor zwei Jahren erhielt sie bereits den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.


Als wohl wichtigstes Werk der gelernten Journalistin gilt «Secondhand-Zeit» von 2013 - eine Sammlung von Stimmen über schlimme Erfahrungen im kommunistischen Experiment in der Sowjetunion.


Der Literaturkritiker Denis Scheck («Druckfrisch») nannte die weißrussische Autorin eine «brillante Dokumentaristin der Blutspur des Totalitarismus und des Krieges» und «eine Stimme der Vernunft im Chor der Irren». Der Kritiker Volker Weidermann («Der Spiegel», «Das Literarische Quartett») bezeichnete die Entscheidung der Nobel-Jury als «ideale Wahl»: «Alexijewitsch schreibt über die russische Geschichte, aber mit ihrem Blick auf die Vergangenheit erklärt sie uns Russland und die Kriege von heute.»


Ihr deutscher Verleger vom Verlag Hanser Berlin, Karsten Kredel, teilte mit: «Ihre Bücher sind eine Chronik des homo sovieticus, für die sie ein eigenes, zwischen Belletristik und Dokumentation liegendes Genre geprägt hat.»


Alexijewitsch wurde am 31. Mai 1948 im westukrainischen Stanislaw (heute Iwano-Frankowsk) geboren. Sie arbeitete nach einem Journalistik-Studium zunächst bei einer Lokalzeitung sowie als  Lehrerin. Da sie im autoritären Regime in Weißrussland kein Gehör fand, lebte sie lange im Ausland. 2011 zog sie trotz ihrer oppositionellen Haltung zurück nach Minsk.


Im vergangenen Jahr hatte die Jury den Franzosen Patrick Modiano (70) geehrt. Letzte deutschsprachige Preisträger waren Herta Müller (2009), Elfriede Jelinek (2004) und Günter Grass (1999).


Verliehen wird die mit 8 Millionen schwedischen Kronen (etwa 850 000 Euro) dotierte Auszeichnung traditionell am 10. Dezember in Stockholm. Das ist der Todestag des schwedischen Preisstifters und Dynamit-Erfinders Alfred Nobel (1833-1896). Auf sein Testament gehen die fünf Nobelpreise zurück. Sie werden schon seit 1901 vergeben.


Stockholmer Jurys haben diese Woche bereits Preisträger in Medizin, Physik und Chemie gekürt. Am Freitag verrät das norwegische Nobelkommittee, wer den diesjährigen Friedensnobelpreis bekommt. (DPA)