Müller soll es richten - VW macht Porsche-Chef zum Krisenmanager

Matthias Müller, neuer Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Auf Müller kommen bei Volkswagen nun schwierige Aufgaben zu. Foto: Julian Stratenschulte
Matthias Müller, neuer Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG. Auf Müller kommen bei Volkswagen nun schwierige Aufgaben zu. Foto: Julian Stratenschulte

Der bisherige Porsche-Chef Matthias Müller soll Europas größten Autobauer VW aus der größten Krise der Unternehmensgeschichte führen. In einer mehr als siebenstündigen Sitzung auf dem VW-Gelände in Wolfsburg wählte der 20-köpfige Aufsichtsrat den 62-Jährigen zum Nachfolger von Winterkorn. Der bisherige VW-Chef Martin Winterkorn war am Mittwoch infolge des weltweiten Abgas-Skandals von seinem Chefposten zurück-getreten. «Für diesen Vertrauensbeweis bin ich dankbar» sagte Müller im Anschluss an die Sitzung. 

Er kündigte umgehend eine «schonungslose Aufklärung und maximale Transparenz» an.


Volkswagen werde unter seiner Führung «die richtigen Lehren aus der aktuellen Situation ziehen.» Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh sagte: «Ich freue mich auf einen Teamplayer an der Spitze.» VW brauche für einen Weg aus der Krise eine «grundlegenden Kulturwandel».


Auf Müller wartet ein Scherbenhaufen, oder eine «nie dagewesene Aufgaben», wie er es nennt. Der leidschaftliche Autonarr muss nun schnell Akzente setzen muss, um das bei Kunden, Aktionären, Justiz und Mitarbeitern verloren gegangene Vertrauen in die Glaubwürdigkeit des Konzerns zurückzugewinnen. «Wir sind überzeugt, dass er die richtige Persönlichkeit an der Spitze ist», sagte Großanteilseigner Wolfgang Porsche. Die Familien Porsche und Piëch stünden auch in der gegenwärtigen Krise «ohne Wenn und Aber zu VW».


Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigte am Freitag eine Nachricht aus Berlin: Von den Manipulationen bei Abgasmessungen an Dieselwagen sind nach Angaben von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) mindestens 2,8 Millionen Fahrzeuge des Konzerns in Deutschland betroffen, darunter sowohl Pkw wie leichte Nutzfahrzeuge. Laut Volkswagen sind weltweit rund elf Millionen Autos mit der Betrugssoftware ausgestattet.


Doch zurück nach Wolfsburg. Nicht nur der Chefposten ist im Zuge des Personalkarussells neu besetzt: Um dem bereits vor der Krise arg schwächelnden US-Markt neues Leben einzuhauchen, werden die Märkte USA, Mexiko und Kanada in der neu geschaffenen Region Nordamerika zusammengefasst. Mit dem bisherigen Skoda-Chef Winfried Vahland steht dem Marktbereich auch eine neuer Chef vor. Der infolge des Skandals in die Kritik geratene US-Regionalchef von Volkswagen, Michael Horn, bleibt im Amt. An die Stelle Vahlands bei Skoda soll der bisherige Vertriebschef von Porsche, Bernhard Maier, treten.


«Die Testmanipulationen bedeuten für Volkswagen ein moralisches und politisches Desaster», sagte Berthold Huber, Interimsvorsitzender des Präsidiums. Das rechtswidrige Verhalten habe Volkswagen ebenso geschockt wie die Öffentlichkeit. «Wir können uns nur entschuldigen und Kunden, Öffentlichkeit, Behörden und Anleger darum bitten, dass wir die Chance zur Wiedergutmachung erhalten». Huber kündigte an, dass Anwälte von Kirkland & Ellis beauftragt worden seien. Die Kanzlei hatte schon den britischen Ölkonzern BP nach der Explosion der Ölplattform «Deepwater Horizon» im Jahre 2010 vertreten.


In den manipulierten VW-Motoren wird eine Software genutzt, die die gemessenen Abgaswerte im Testbetrieb nach unten korrigiert. Infolge des Skandals war in dieser Woche der Kurs der VW-Aktie massiv eingebrochen. Zum Handelsschluss am Freitag fehlte der Aktie rund ein Drittel ihres Wertes vom Wochenauftakt. Zudem drohen dem Konzern weltweit Prozesse und Milliardenstrafen.


Müller war bereits im Frühjahr von VW-Patriarch Ferdinand Piëch als Winterkorn-Nachfolger ins Gespräch gebracht worden. Für den dann vakanten Chefposten beim Sportwagenhersteller werden Produktionsvorstand Oliver Blume beste Chancen eingeräumt. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Konzernkreisen erfuhr, steht der 47-Jährige de facto als neuer Firmenlenker fest. Dies muss formal noch der Aufsichtsrat der Porsche AG beschließen. Das Gremium soll in der kommenden Woche in Stuttgart zusammenkommen.


Dagegen ist die Zukunft für Winterkorn als Vorsitzender der Porsche-Dachgesellschaft Porsche SE unwahrscheinlich - nach dpa-Informationen ist dies aber keine realistische Option. Im Aufsichtsrat scheinen die Meinungen darüber ebenso weit auseinanderzugehen wie in der Gerüchteküche. Der Porsche SE gehört die Mehrheit von Volkswagen. Zuvor hatte «Spiegel Online» berichtet, dass Winterkorn hier im Amt bleiben wolle.


Der Abgas-Skandal hat inzwischen neben VW und Audi auch die Töchter Skoda und Seat erfasst. Zudem steht die Frage im Raum, ob andere Hersteller ebenfalls getrickst haben könnten. BMW, Daimler, Ford, Opel und Fiat betonten, sich an alle gültigen Vorgaben zu halten.


«Wir stehen am Ende einer Woche, die uns allen unter die Haut gegangen ist», sagte Niedersachsens Ministerpräsident und Chefkontrolleur Stephan Weil (SPD). Wie Müller dankte Weil Winterkorn erneut für dessen Arbeit der vergangenen Jahre. Es sei eine «gute Fügung, dass der neue Vorstandsvorsitzende an neuen Konzept mitgearbeitet hat». (DPA)