VW-Skandal: Müller Favorit für Winterkorn-Nachfolge

Porsche-Chef Matthias Müller wird wohl neuer VW-Chef. Foto: Fredrik von Erichsen
Porsche-Chef Matthias Müller wird wohl neuer VW-Chef. Foto: Fredrik von Erichsen

Porsche-Chef Matthias Müller gilt als klarer Favorit für die Nachfolge von Martin Winterkorn an der Spitze von Volkswagen. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Unternehmens-kreisen. Im Fall seiner Ernennung müsste er den Weltkonzern aus der tiefen Vertrauenskrise führen, in die der Abgas-Skandal den größten europäischen Autobauer gestürzt hat. Die Entscheidung über die neue Führungsspitze soll am Freitag bei der Sitzung des VW-Aufsichtsrats in Wolfsburg fallen. 

Müller würde auf Winterkorn folgen, der seinen Posten am Mittwoch wegen der Affäre um manipulierte Abgaswerte geräumt hatte. Bei der VW-Tochter Porsche habe der bisherige Produktionsvorstand Oliver Blume (47) wiederum sehr gute Karten, Müller-Nachfolger zu werden, hieß es.


Die Folgen der Manipulationen kosteten nach Winterkorn bereits weitere Spitzenmanager den Job. Bei den Töchtern Porsche und Audi müssen der für Forschung zuständige Porsche-Vorstand Wolfgang Hatz und Audi-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg gehen, wie dpa aus Konzernkreisen erfuhr. Zuvor hatten bereits «Bild» und «Spiegel Online» darüber berichtet.


Zudem steht die Frage im Raum, ob andere Hersteller ebenfalls bei der Abgasmessung getrickst haben könnten. BMW, Daimler, Ford, Opel und Fiat betonten, sich an alle gültigen Vorgaben gehalten zu haben.


Weiteren Berichten zufolge rollt auf VW in den USA und in Kanada eine Flut von Sammelklagen zu. Nach ersten Gesprächen der Untersuchungskommission des Bundesverkehrsministeriums teilte Minister Alexander Dobrindt (CSU) mit, dass auch in Europa VW-Dieselmotoren manipulierte Abgaswerte aufweisen. Die Grünen fordern von Dobrindt eine Überprüfung auch anderer Autobauer.


Die EU-Kommission fordert vollständige Aufklärung von den nationalen Behörden. Diese sollten herausfinden, wie viele Autos mit manipulativer Software ausgestattet wurden. Binnenmarktkommissarin Elzbieta Bienkowska sagte: «Unsere Botschaft ist klar: Null Toleranz bei Betrug und absolute Einhaltung der EU-Regeln.»


Von den Problemen bei VW sind neben Audi weitere Töchter betroffen. Innerhalb des Konzerns teilen sich die Unternehmen etliche Bauteile, darunter Motoren und Getriebe. Ein Sprecher von Skoda bestätigte, dass auch bei der tschechischen Tochter die betroffenen Motoren verbaut wurden. Bei aktuellen Modellen gebe es keine Probleme.


Volkswagen hatte bereits eingeräumt, dass es bei insgesamt rund 11 Millionen Fahrzeugen weltweit «Abweichungen» gebe. Eine genaue und vollständige Liste der betroffenen Modelle gibt es jedoch noch nicht.


VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh forderte als Konsequenz aus dem Skandal ein grundlegendes Umdenken. «Wir brauchen für die Zukunft ein Klima, in dem Probleme nicht versteckt, sondern offen an Vorgesetzte kommuniziert werden. Wir brauchen eine Kultur, in der man mit seinem Vorgesetzten um den besten Weg streiten kann und darf», betonte er in einem Schreiben an die Mitarbeiter. Als VW-Chef komme nur «eine Persönlichkeit mit großem technischen und unternehmerischen Sachverstand und gleichzeitig großer sozialer Kompetenz» infrage.


Der Skandal brachte eine ganze Industrie ins Zwielicht. Die Motoren wurden mit einer Software ausgestattet, die die Messung des Ausstoßes von Stickoxiden manipulierte. Klar ist, dass vier Reihen der Tochter Audi betroffen sind: Der Motor vom Typ EA 189 sei in Modellen des A1, A3, A4 und A6 verbaut worden, sagte ein Audi-Sprecher. Die genauen Baujahre und die Anzahl der Fahrzeuge könnten aber noch nicht genannt werden. Ob die Autos von den Software-Manipulationen betroffen seien, könne man ebenfalls noch nicht sagen, hieß es bei Audi. Auch der VW-Konzern selbst bereitet unter Hochdruck an einer Modell-Liste.


Die Kläger in den USA und Kanada sollen den Berichten zufolge private Autokäufer sein, in einem Fall ein Autohändler. VW würden Betrug, Vertragsbruch und weitere Gesetzesverstöße vorgeworfen, hieß es. Das Unternehmen habe bisher «keine Kenntnis, wann, wo, wie welche Klage anhängig ist», sagte ein Unternehmenssprecher am Donnerstag. Nach der Ratingagentur Fitch warnten auch Standard and Poor's (S&P) und Moody's, dass der Skandal den Ruf des Weltkonzerns gefährden könne.


Nach Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig nimmt auch Italiens Justiz VW ins Visier. Auch Volkswagen selbst erstatte Anzeige. Interne Untersuchungen laufen.


Ökonomen fürchten um den Ruf deutscher Exportprodukte. «Wir erleben, wie in der Finanzkrise, dass ein Vorfall systemische Krisenqualität erlangt hat», sagte der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, im «Handelsblatt». Auch Deutschland oberster Katholik, Kardinal Reinhard Marx, meinte: «Das ist eine heftige Geschichte für die Reputation der deutschen Wirtschaft.»

Klaus Müller aus dem Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) rief die Bundesregierung zum Einschreiten auf und forderte: «In keinem Fall darf der Verbraucher auf dem Schaden sitzen bleiben.» Das Kraftfahrtbundesamt müsse dafür sorgen, dass Fahrzeuge vorgegebene Abgaswerte in der Realität einhalten: «In der Praxis kann die Behörde die Betriebserlaubnis für die Fahrzeuge zurückziehen.»


Die Aktivisten, die den Diesel-Abgas-Skandal ins Rollen brachten, wollen auch andere Antriebsarten unter die Lupe nehmen und planen weitere Fahrzeugtests. Das sagte Peter Mock vom International Council on Clean Transportation (ICCT) der Branchenzeitung «Automobilwoche».


Ob weitere Autobauer technischer Manipulationen überführt werden könnten, sei «zurzeit noch nicht absehbar», meinte Mock. Schon jetzt allerdings legten «frühere Vergleiche von Messdaten aus Labor und Praxis zumindest den Schluss nahe, dass es auch bei anderen Herstellern größere Abweichungen geben könnte». (DPA)