EU-Gipfel legt Streit über Flüchtlingskrise bei

«Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Land», stellte Bundeskanzlerin Merkel klar. Foto: Stephanie Lecocq
«Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Land», stellte Bundeskanzlerin Merkel klar. Foto: Stephanie Lecocq

Die EU-Staaten haben bei einem Krisengipfel ihren wochenlangen Streit über den Kurs in der Flüchtlingspolitik vorerst beigelegt. Die Spannungen seien zwar nicht verschwunden, hätten aber bei dem Spitzentreffen nicht wirklich eine Rolle gespielt, resümierte der französische Staatspräsident François Hollande am frühen Donnerstagmorgen nach rund siebenstündigen Beratungen in Brüssel. Die EU-Staaten hatten sich erst unmittelbar vor dem Gipfel nach langen Auseinandersetzungen auf die Verteilung von weiteren 120 000 Flüchtlingen geeinigt.

Dabei wurden Rumänien, Tschechien, die Slowakei und Ungarn überstimmt.


Im größten Flüchtlingsdrama seit dem Zweiten Weltkrieg nehmen die Europäer nun Milliarden in die Hand, um der Lage zu begegnen. Mit dem Geld wollen sie ihre gemeinsamen Außengrenzen besser sichern und schutzbedürftigen Menschen in Krisengebieten helfen.


«Wir müssen unsere Politik offener Türen und Fenster korrigieren», sagte Gipfelchef Donald Tusk. «Das Chaos an unseren Außengrenzen muss ein Ende nehmen.»


Die EU gibt eine Milliarde Euro zusätzlich zur Versorgung syrischer Flüchtlinge in Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes. Das Geld soll etwa an das UN-Welternährungsprogramm WFP und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fließen. Dem WFP fehlt Geld; die Organisation musste ihre Unterstützung für Flüchtlinge kürzen, was teilweise zu Engpässen in Lagern führte.


Der EU-Sondergipfel beschloss auch, bis Ende November in Italien und Griechenland Registrierungszentren («Hotspots») für Flüchtlinge einzurichten. Nach Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat auch Bulgarien seine Bereitschaft erklärt, einen solchen «Hotspot» einzurichten.


Grenzzäune seien kein Mittel, das Problem zu lösen. Allerdings gebe es auch keine Wahlfreiheit für Flüchtlinge. «Es gibt keinen Anspruch auf ein bestimmtes Land», sagte Merkel.


«Zum ersten Mal ist die Migrationsfrage nicht das Problem eines einzelnen Mitgliedstaates», bilanzierte der italienische Regierungschef Matteo Renzi. «Es ist eine Frage für alle Europäer und insbesondere alle EU-Institutionen.»


Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll die Flüchtlingshilfe für die Türkei für das laufende und das kommende Jahr auf insgesamt eine Milliarde Euro aufgestockt werden. «Das muss die Türkei aber auch wollen», sagte ein Diplomat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird am 5. Oktober in Brüssel zu Gesprächen erwartet.


Von der Finanzhilfe soll auch Afrika mit 1,8 Milliarden Euro profitieren. Außerdem will die EU ihre Grenzschutzagentur Frontex stärken - auch dafür gibt es zusätzliches Geld. Laut EU-Kommission sollen die Gelder, die vor allem zur Flüchtlingshilfe eingesetzt werden, im Vergleich zum Jahresbeginn auf 9,2 Milliarden Euro verdoppelt werden. Zunächst waren 4,5 Milliarden Euro vorgesehen.


Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban drohte die Schließung der Grenze seines Landes zum EU-Mitglied Kroatien an. Der Rechtskonservative beklagte, es sei nicht gelungen, eine gemeinsame Sicherung der griechischen EU-Außengrenze zu beschließen. So könnten Flüchtlinge internationale Regeln brechen und weiter nach Griechenland vordringen. Zu den umstrittenen ungarischen Grenzzäunen sagte Orban: «Wenn der Zaun nicht gewollt wird, dann können wir die Flüchtlinge auch durchlassen Richtung Österreich und Deutschland.»


Tusk räumte Meinungsverschiedenheiten ein, einige Themen seien nach wie vor strittig. «Sie können sich vorstellen, dass die Diskussion zwischen dem ungarischen Premierminister und dem österreichischen Kanzler sehr energiegeladen war.» Ungarn wird vorgeworfen, Flüchtlinge ohne Registrierung einfach nach Österreich weiterreisen zu lassen, obwohl dies dem sogenannten Dublin-Prinzip widerspricht.


Merkel sagte über die Position Orbans: «Da gibt es Punkte der Übereinstimmung, da gibt es auch durchaus unterschiedliche Einschätzungen. Die Übereinstimmung besteht darin, dass wir uns völlig einig sind, dass der Schutz der Außengrenzen notwendig ist.»


Die Staats- und Regierungschefs der EU werden schon in drei Wochen bei ihrem regulären Gipfel wieder über die Flüchtlingskrise beraten. (DPA)