«Uuuund, passt es?» - Vom Horror in der Umkleidekabine

Horror! Im unerbittlichen Licht der Umkleidekabine zeigen sich Cellulite und Falten ganz deutlich. Foto: Felix Kästle
Horror! Im unerbittlichen Licht der Umkleidekabine zeigen sich Cellulite und Falten ganz deutlich. Foto: Felix Kästle

Nirgendwo wirft die Cellulite dunklere Schatten: Die Umkleidekabine verbinden die meisten mit unvorteilhaftem Licht und unliebsamen Wahrheiten im Spiegel. Das könnte sich bald ändern - wenn auch nicht überall. Wenn Erniedrigung ein Ort wäre, läge er hinter einem zugezogenen Vorhang. Unerbittliches Licht, stickige Luft und dann die drängelnde Frage der Verkäuferin: «Passt es?» Wer diesen Sommer auf der Suche nach Bikini oder Badehose ist, hat ihn noch vor sich: den Gang in die Umkleidekabine.

Experten zufolge ist die Anprobe der am meisten vernachlässigte Teil eines Ladens. «Der schlimmste Fauxpas ist die Beleuchtung», sagt Andreas Steinle, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts in Frankfurt am Main. «Der Horror ist die Cellulite, die man an sich bemerkt - und die Falten.» - Dank Vorhängen, die sich irgendwie nie ganz zuziehen lassen, sehen solche Makel dann auch die Kunden in der Warteschlange.

 

Doch es gibt (schmeichelndes) Licht am Ende des Tunnels: «Es ist nur eine Frage der Zeit, dass sich das ändert», kündigt der Trendforscher an. Erste Ideen dafür werden ihm zufolge bereits entwickelt - auch wenn es die wenigsten tatsächlich schon in die Läden geschafft haben.

 

Abhilfe könnte von einem Wirtschaftsinformatiker kommen: An der Uni Erlangen-Nürnberg forscht Doktorand Christian Zagerl derzeit an einer Umkleidekabine, die einfühlsamer ist als ihre unvorteilhaften Artgenossen. Im Rahmen eines Projekts hat er eine interaktive Anprobe namens «Cyberfit» entwickelt.

 

«Die Idee war, die Emotionen, die ein Mensch mit einem Produkt verbindet, rüberzubringen», sagt der 32-Jährige. Seine Kabine soll erkennen, welches Kleidungsstück ein Kunde anprobiert - und passend dazu einen Hintergrund an die Wand werfen. «Bei einer Outdoor-Jacke wäre das zum Beispiel eine Berglandschaft mit Vogelgezwitscher.» Dazu kommen Infos rund um das Produkt samt Einblendungen, was dazu noch passen könnte. Das Projekt wurde auf der Computermesse CeBIT mit einem Innovationspreisausgezeichnet.

 

Vorschläge nach dem Motto «Das könnte Ihnen auch gefallen»? klingt verdächtig nach Internet-Shopping. «Der Online-Handel ist Taktgeber für den stationären Handel», bestätigt Zukunftsforscher Steinle. «Dort sind genau diese Techniken schon im Einsatz.»

 

Tatsächlich haben virtuelle Shopping-Berater schon Einzug in erste Ankleidekabinen gehalten: Im Berliner Karl-Lagerfeld-Store etwa können sich Kunden mit einem Tablet-Computer selbst bei der Anprobe fotografieren - und ihre Auswahl direkt dem gestrengen Urteil der Facebook-Gemeinde aussetzen.

 

«Man kann sich damit auch ins rechte Licht rücken und es zum Beispiel in schwarz-weiß oder mit Rahmen aufnehmen», erklärt Store-Manager Thomas Pohle. Auf dem Foto tauche auch das Logo von Karl Lagerfeld auf. So wird der Service auch zur Werbung für den Hersteller.

 

«Klar ist: Die Leute wünschen sich Feedback», sagt Steinle. Das müsse in der Umkleidekabine besser organisiert werden - in welcher Form auch immer. «Es wird nicht die eine Umkleide geben, sondern eine Vielfalt. Es muss zu der Marke passen.»

 

Das macht derzeit der Textil-Discounter Primark vor: Er hat in Köln nun eine Gruppenumkleide für Frauen eingeführt - und damit die Träume junger Mädchen wahr gemacht, die sich bisher nie mit Freundinnen zusammen in eine Kabine zwängen durften.

 

Virtuelle Modeberater wird man bei Discountern aber wohl noch lange suchen, wie aus einer Experten-Befragung der Hochschule der Medien in Stuttgart hervorgeht. Demnach halten Branchenkenner solche Extras vor allem in günstigen Mode-Läden in den kommenden Jahren für sehr unwahrscheinlich.

 

Auch das grelle Neonlicht dürfte Kunden noch eine Weile erhalten bleiben: Fachleute rechnen demnach nicht damit, dass Kunden bis 2020 selbst ran dürfen und das Licht nach ihrem Geschmack dimmen können.

 

Wem der Gedanke an das eigene Spiegelbild in der Umkleidekabine partout nicht behagt, hat aber Alternativen: Bei der Modemarke Hollister etwa ist das Licht so dunkel, dass man Falten nicht erkennt - ob das T-Shirt nun blau oder schwarz ist allerdings auch nicht. Auch die Hipster-Modekette Kauf dich glücklich beugt Ungemach vor: Sie hängt in der Kabine erst gar keine Spiegel auf. (DPA)

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0