Kretschmann: Deutsche Berufspendler keine Zuwanderer

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Bernd Weißbrod/Archiv
Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: Bernd Weißbrod/Archiv

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat vor schwerwiegenden Folgen einer begrenzten Zuwanderung aus der EU in die Schweiz für die Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg gewarnt. Zugleich betonte er am Donnerstag in Bern die Bereitschaft der Landesregierung, die Schweiz zu unterstützen. Dabei geht es um die Verhandlungen mit der EU über einen Kompromiss für die Umsetzung der 2014 knapp angenommenen eidgenössischen Volksinitiative gegen «Masseneinwanderung».

 

Besonders problematisch sei dabei aus Sicht Stuttgarts, dass von Beschränkungen auch die rund 56 000 deutschen Grenzgänger betroffen sein könnten. Diese pendeln täglich vor allem aus Baden-Württemberg zur Arbeit in die Schweiz. «Diese Menschen sind keine Einwanderer», sagte Kretschmann vor Reportern in Bern. Für Berufspendler «sollte es aus unserer Sicht keine Hürden geben».

 

Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Baden-Württemberg basiere auf den bilateralen Verträgen der Eidgenossenschaft mit der EU. Das erklärte Kretschmann zum Auftakt seiner zweitägigen Gespräche mit Regierungspolitikern in Bern sowie mit Wirtschaftsvertretern in Zürich. Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Handelspartnern Baden-Württembergs.

 

Die Initiative der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) gegen «Masseneinwanderung» war 2014 mit 50,3 Prozent der Stimmen angenommen worden. In welcher Form sie konkret umgesetzt wird, ist noch nicht klar. Angedacht ist seitens Bern die Aktivierung einer Schutzklausel im Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz. Es garantiert bislang noch Deutschen und allen anderen EU-Bürgern die freie Wohnsitz- und Arbeitsplatzwahl in der Schweiz sowie für Schweizer in allen EU-Ländern.

 

Die EU-Kommission in Brüssel hat deutlich gemacht, dass sie eine Verletzung des Abkommens über Personenfreizügigkeit als Verstoß gegen das Gesamtpaket der bilateralen Verträge mit der Schweiz ansehen würde. Dies könnte deren Zugang zum europäischen Binnenmarkt gefährden. Bis Anfang 2017 muss die Regierung in Bern zumindest einen abgestimmten Fahrplan für konkrete Verhandlungen mit der EU über die Umsetzung der Initiative vorlegen. Gespräche dazu lagen seit Monaten auf Eis, weil Brüssel erst das Brexit-Referendum abwarten und sich auf Verhandlungen mit London konzentrieren wollte.

 

Kretschmann traf Donnerstagnachmittag mit dem Schweizer Bundespräsidenten und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann zusammen. Dabei wollte er nach eigenen Angaben die Sorgen Baden-Württembergs wegen der Initiative gegen «Masseneinwanderung» ansprechen.

 

Zuvor hatte sich der Ministerpräsident bei einem Gespräch mit der Verkehrsministerin Doris Leuthard Kritik an der schleppenden Umsetzung deutscher Verpflichtungen für den Bau von Zubringerstrecken des Großprojekts Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) anhören müssen. Das sei «blamabel» gewesen, schilderte Kretschmann. Während die Schweiz mit der pünktlichen Fertigstellung des Gotthard-Basistunnels - des Herzstücks der NEAT - eine Glanzleistung vollbracht habe, werde das deutsche Projekt Modernisierung der Rheintalbahn frühestens 2030 fertig - mit zehnjähriger Verspätung.

 

Keine Annäherung gab es beim Gespräch mit Leuthard hinsichtlich des seit Jahrzehnten schwelenden Streits über den vom Airport Zürich-Kloten verursachten Fluglärm. Deutschland hat 2014 ein Regierungsabkommen dazu nicht ratifiziert, nachdem die betroffenen Landkreise im Grenzgebiet starke Bedenken erhoben.

 

Die Schweiz will nun Regeln für Flugkorridore und Flugzeiten festlegen. Baden-Württemberg lehne solche einseitigen Maßnahmen ab und bestehe darauf, weiter gemeinsam nach Kompromissen zu suchen, betonte Kretschmann. Beim Thema Endlagersuche für den Abfall aus Schweizer Atomkraftwerken sicherte Leuthard nach Angaben des Ministerpräsidenten zu, dass eventuell betroffene deutschen Gemeinden das selbe Mitspracherecht eingeräumt werde wie den schweizerischen. (DPA/LSW)