Trauermarsch für Nemzow im Herzen Moskaus

Boris Nemzow, einer der bekanntesten Kritiker von Russlands Präsident Putin, ist hinterrücks ermordet worden. Foto: Anatoly Maltsev
Boris Nemzow, einer der bekanntesten Kritiker von Russlands Präsident Putin, ist hinterrücks ermordet worden. Foto: Anatoly Maltsev

Nach dem Attentat auf Boris Nemzow wollen heute bis zu 50 000 Menschen im Zentrum von Moskau an einer Trauerkundgebung für den ermordeten Kremlgegner teilnehmen. Darauf hatten sich gestern Oppositionsvertreter bei Verhandlungen mit der Stadt geeinigt. Die Initiative ging nach Angaben der Behörden von dem Oppositionsführer und früheren Regierungschef Michail Kasjanow aus. Auf einen ursprünglich geplanten Marsch gegen die Politik von Kremlchef Wladimir Putin verzichtete die Opposition.


Nach der Trauerkundgebung soll der Sarg mit dem Leichnam des Politikers im Sacharow-Menschenrechtszentrum aufgebahrt werden. Dort sollen die Menschen nach russisch-orthodoxem Brauch am Dienstag von dem früheren Vize-Regierungschef Abschied nehmen können. Anschließend ist die Beisetzung auf dem Prominentenfriedhof Trojekurowo geplant.


Nemzow war in Sichtweite des Kremls auf offener Straße hinterrücks erschossen worden. Sowohl die Polizei als auch der Kreml gingen von einem Auftragsmord aus. Der 55 Jahre alte Nemzow war ein profilierter Gegner von Präsident Putin.


Putin verurteilte den «brutalen Mord» am Samstag ebenso wie US-Präsident Barack Obama. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich bestürzt. Sie forderte Putin auf, «zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden», teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, Nemzows Tod mache ihn «traurig und wütend».


Der Kremlchef nannte den Mord eine politische «Provokation». Die Bluttat habe alle Anzeichen eines Auftragsmordes, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. In einem Beileidstelegramm an Nemzows Mutter würdigte Putin die Verdienste des Politikers und sicherte zu, sich vehement für die Aufklärung des Verbrechens einzusetzen.


Der Friedensnobelpreisträger und Ex-Kremlchef Michail Gorbatschow warnte vor einer Destabilisierung der Lage in Russland. Die Situation ist angesichts des Ukraine-Konflikts gespannt.


Nach Kremlangaben beauftragte der Präsident die leitenden Mitarbeiter der obersten Ermittlungsbehörde, des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FSB, die Ermittlungen persönlich in die Hand zu nehmen. Fernsehberichten zufolge fanden die Ermittler möglicherweise das Fluchtauto der Täter. Der TV-Sender Rossija 24 zeigte das weiße Fahrzeug mit einem Nummernschild der Teilrepublik Inguschetien, die im islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus liegt.


Zuletzt hatten Ermittler als einen von mehreren Ansätzen auch einen islamistischen Hintergrund nicht ausgeschlossen. Nach Darstellung der obersten Ermittlungsbehörde hatte es gegen Nemzow Drohungen gegeben, nachdem sich der Politiker nach dem Anschlag auf das Magazin «Charlie Hebdo» in Paris solidarisch mit den Franzosen gezeigt hatte.


Nemzow war am Freitag um 23.40 Uhr Ortszeit (21.40 MEZ) von hinten mit einer Pistole erschossen worden. Der Täter habe aus einem Auto sieben oder acht Schüsse auf Nemzow abgefeuert, sagte am Samstag Sprecherin Jelena Alexejewa vom Innenministerium. Vier Kugeln trafen Nemzow in den Rücken. Am Tatort gebe es Videoüberwachung, die möglicherweise weitere Hinweise auf die Täter geben könnte, hieß es.


Der Regierungsgegner soll zuvor mit einer Bekannten über den Roten Platz spaziert sein. Die Frau, Medien zufolge eine 23 Jahre alte Ukrainerin, überlebte das Attentat. Nemzow galt als glühender Unterstützer der proeuropäischen ukrainischen Führung in Kiew. Dort äußerte sich Präsident Petro Poroschenko schockiert über den Mord. In Kiew legten Bürger in der Nacht Blumen vor das Gebäude der russischen Botschaft. Auch in Moskau lagen am Tatort Blumen und Kerzen. (DPA)