Musical «Das Wunder von Bern» in Hamburg

Die Schauspieler Lorenz Meier (l) und Dominik Hees im Fußball-Musical «Das Wunder von Bern». Foto: Daniel Bockwoldt
Die Schauspieler Lorenz Meier (l) und Dominik Hees im Fußball-Musical «Das Wunder von Bern». Foto: Daniel Bockwoldt

«Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen - Rahn schießt», schreit Reporterlegende Herbert Zimmermann - und dann: erstarrt der «Boss» Rahn auf der Bühne. Sekunden vergehen bis zur Erlösung. «Toooor!Toooor!Toooor!Toooor!» Das Publikum jubelt, als wäre es live dabei im Berner Wankdorfstadion. Zurückgebeamt ins Jahr 1954, als der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in der Schweiz ein Wunder gelang. Doch die Zuschauer sitzen im Musicaltheater und noch hält es sie auf ihren Stühlen. 

Erst wenige Minuten später wird so ziemlich jeder von ihnen im Saal stehen und minutenlang applaudieren - denn auch in Hamburg wird seit dem Wochenende das Fußball-Wunder wahr.


«Das Wunder von Bern» lebt 60 Jahre später als Musical nach dem gleichnamigen Kinoerfolg von Sönke Wortmann wieder auf. Eine aufwendige 15-Millionen-Euro-Show in einem neuen 50-Millionen-Euro-Theater. Geschichte und große Gefühle, Emotionen und Endspiel an der Elbe - die Taktik der Macher geht auf. Weltmeisterlich waren Jubel und Stimmung vor der Weltpremiere, als die neue Show vor der Gala mit rotem Teppich am Sonntag bereits am Samstagabend offiziell vorgestellt wurde. Mit seiner Eigenproduktion schießt der Musicalkonzern Stage Entertainment weit nach vorn und könnte einen Volltreffer für Deutschlands Musicalhauptstadt landen.


Deutschland gewinnt damals gegen Ungarn und wird Weltmeister? Eine Sensation. Fußball im Musical? Auch das eine Sensation. Es gibt kein Spielfeld auf der Bühne - und auch keine tanzenden Fußballer. Allenfalls legt das Team eine kraftvoll stampfende Steppnummer hin, um die neuen Schuhe mit Schraubstollen zu testen. Und virtuose Ballartisten demonstrieren mit ihren Tricks die Übermacht der scheinbar unbesiegbaren Ungarn. Originalkommentare und -bilder geben Spielszenen wieder, in den verschiedensten Varianten «rollt» der Ball - besonders mitreißend in der Mischung aus Videoanimation und Seilakrobatik an der Steilwand zum Finale.


Doch so wie der WM-Titel für Nachkriegsdeutschland mehr als nur ein Fußballwunder war, erzählt auch das Musical mehr. Eins zu eins folgt es Wortmanns Geschichte über den Kriegsheimkehrer Richard Lubanski (Detlef Leistenschneider, im Film Peter Lohmeyer), der seine Familie nach zwölf Jahren wiedersieht und seinem elfjährigen Sohn Matthias zum allerersten Mal überhaupt begegnet. «Das war mein Heim», singt er und ist nicht der Einzige, der ausgerechnet dort die Fremde spürt. «Wo ist der Mann, der von mir ging?», fragt verzweifelt seine Frau Christa (Vera Bolten).


Seine Familie hat der Heimkehrer gefunden, seinen Platz noch nicht - «wie der Ball vor meinem Fuß, dem man eine Richtung geben muss, wenn er nicht im Abseits landen will». «Wo stehst du?», fragen die Lubanskis, «Wo stehen wir?», die Reporter den Trainer - und am Ende sich alle. ««Das Wunder von Bern» ist ein Stück deutsche Geschichte und berührt ganz Deutschland», sagt Joop van den Ende, Stage-Entertainment-Eigentümer. Kaum ein Ereignis habe die Deutschen so positiv geprägt. «Die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben, eine Nation im Aufbau und ein einzigartiger Moment, der dem ganzen Land neuen Lebensmut bescherte.»


Die Texte zu den Songs stammen von Frank Ramond (Roger Cicero, Annett Louisan), Theaterkomponist Martin Lingnau schrieb die Melodien. Mal witzig im Ruhrpott-Deutsch «So wird dat nie wat». Mal rockig, wenn der ältere Sohn dem Vater blinden Gehorsam vorwirft - das «macht die falschen Leute groß». Mal gefühlvoll, wenn der Vater und sein Jüngster (Riccardo), der am Ende der Aufführung den meisten Beifall erhält, hoffen, «wir beide könnten groß sein». Im Film gibt es Nahaufnahmen oder Schnitte, im Musical die Songs. Und die fügen sich in der Inszenierung von Gil Mehmert mühelos ein, sorgen für berührende Momente, Gänsehaut und Tränen.


Schnell, nur manchmal ein wenig zu schnell, wechseln Szenen und das gelungene Bühnenbild. Eben noch qualmen hinterm Bretterzaun Schornsteine im Ruhrpott, schon sieht man die idyllische Landschaft vom WM-Quartier in Spiez oder das Hotelzimmer des Reporters Ackermann. Wie im Film lockern der junge Journalist (dem Herberger erklärt «Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten») und seine zu Flitterwochen bei der WM gezwungene Ehefrau die traurige Heimkehrer-Geschichte auf. Ebenso die Szene, in der eine Schweizer Putzfrau Bundestrainer Sepp Herberger (Michael Ophelders) empfiehlt: «Seien Sie nicht so deutsch!».


Das neue Theater an der Elbe steht mitten im Hafen gleich neben dem «König der Löwen», einer von drei weiteren Hamburger Stage-Shows («Rocky», «Das Phantom der Oper», dem 2015 «Aladdin» folgt). Zwei Millionen Besucher jährlich zählen die drei Musicals bislang - 650 000 weitere soll «Das Wunder von Bern» bringen. (DPA)