Proeuropäische Kräfte sehen sich bei Ukraine-Wahl als Sieger

Der ukraininische Staatschef Poroschenko kann auf eine solide Mehrheit für seinen EU-Kurs setzen. Foto: Sergey Dolzhenko
Der ukraininische Staatschef Poroschenko kann auf eine solide Mehrheit für seinen EU-Kurs setzen. Foto: Sergey Dolzhenko

Nach dem Erfolg prowestlicher Kräfte um Präsident Petro Poroschenko bei der Parlamentsneuwahl in der Ukraine wollen die Parteien rasch mit den Koalitionsverhandlungen beginnen. Neben dem Poroschenko-Block und der Volksfront von Ministerpräsident Arseni Jazenjuk könnten sich die liberale Partei Samopomoschtsch (Selbsthilfe) und die Vaterlandspartei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko an der Regierung beteiligen. Prognosen nach Schließung der Wahllokale am Sonntagabend zufolge kämen sie auf eine deutliche Mehrheit in der Obersten Rada.

Poroschenko sagte bei einer Wahlparty, er sehe in der Volksfront einen Partner für seine eigene Partei. «Wir werden in Kürze eine Koalition bilden», sagte auch Jazenjuk im TV-Sender 112.ua. Der Präsident schaffte sich mit dem Urnengang erstmals eine eigene Machtbasis in der Rada. «Drei Viertel der Wähler haben für den Westkurs der Ukraine gestimmt», sagte Poroschenko. Das sei ein klarer Auftrag für die künftige Regierung. Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko meinte: «Erstmals verfügen die demokratischen Kräfte in der Obersten Rada über die absolute Mehrheit.»


Im Lager von Poroschenko dürfte es allerdings trotz des vorhergesagten Ergebnisses von 23 Prozent lange Gesichter geben, meinten Experten. Umfragen hatten dem Parteienbündnis mehr als 30 Prozent der Stimmen zugetraut. Jazenjuks rechtsliberale Volksfront kam den Prognosen zufolge aus dem Stand auf 20,7 Prozent, deutlich mehr als vorausgesagt. Die Volksfront beanspruchte noch am Abend den Posten des Regierungschefs für Jazenjuk.


Als größte Überraschung werteten Beobachter das Resultat der liberalen Samopomoschtsch. Die Gruppe, zu der auch der populäre Bürgermeister von Lwiw (Lemberg), Andrej Sadowy, gehört, kam Prognosen zufolge auf 13,2 Prozent der Stimmen. Viele Wähler sahen in der Partei aus dem proeuropäischen Westen eine unverbrauchte Kraft. Timoschenkos Vaterlandspartei kam laut Prognosen auf 5,6 Prozent.


Unerwartet schlecht schnitt der Rechtspopulist Oleg Ljaschko ab. Seine Radikale Partei landete nicht wie erwartet an zweiter, sondern an fünfter Stelle mit laut Prognosen 6,4 Prozent der Stimmen. Das oppositionelle Parteienbündnis um Ex-Vizeministerpräsident Juri Boiko kam Prognosen zufolge auf 7,6 Prozent. Die rechtsradikale Partei Swoboda schaffte nach den Vorhersagen mit 6,3 Prozent knapp den Einzug in die Rada.


Die Kommunisten scheiterten demnach an der Fünf-Prozent-Hürde. Auch der Rechte Sektor, der radikale Flügel der blutigen Winterproteste auf dem Maidan, erreichte den Prognosen zufolge kaum zwei Prozent. Die Wahlkommission begann in der Nacht mit der Bekanntgabe erster Teilergebnisse, die aber zunächst nur auf 0,5 Prozent der Stimmen beruhten. 29 Parteien waren zu der Abstimmung zugelassen.


Es war die erste Parlamentswahl seit der Machtübernahme proeuropäischer Kräfte, die im Februar den prorussischen Staatschef Viktor Janukowitsch gestürzt hatten. Zugleich galt die Wahl als letzter Schritt für die Legitimierung der neuen Führung nach der Präsidentenwahl im Mai. Poroschenko hatte die Wahl nach der Auflösung der Regierung vorzeitig angesetzt.


Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), sagte, die Ukrainer hätten sich für Parteien entschieden, die für eine Annäherung an die EU stehen und die Unabhängigkeit ihres Landes gegen Moskau verteidigen wollen. Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, würdigte die Wahl als «klaren Ausdruck des Wunsches der Bevölkerung nach Frieden, Demokratie und Einheit des Landes». Der russische Außenpolitiker Alexej Puschkow sagte indes, die Wahl werde die Krise nicht beenden.


Es war die erste Wahl ohne die von Russland annektierte Schwarzmeerhalbinsel Krim und Teile der abtrünnigen Gebiete Donezk und Lugansk, die weitgehend von prorussischen Separatisten kontrolliert werden. Dort konnte mehr als die Hälfte der Berechtigten nicht wählen. Die Aufständischen ließen die Abstimmung nicht zu. Sie wollen gegen den Protest Kiews am 2. November eigene Wahlen in ihren selbst ernannten «Volksrepubliken» abhalten.


Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teilten mit, die Wahl werde trotz der Probleme in der Ostukraine anerkannt. Der oberste OSZE-Wahlbeobachter Michael Link sprach in der «Heibronner Stimme» (Montag) von einer «relativ geordneten» Wahl. Wegen des Ausfalls der Wahl im Osten des Landes und auf der Krim werden nur 423 der eigentlich 450 Rada-Sitze vergeben.


Rund 36 Millionen Menschen waren aufgerufen, bei dem Urnengang ihre Stimmen abzugeben. Bei Schließung der Wahllokale lag die Beteiligung nach Auswertung von 159 von 198 Wahlkreisen bei knapp 53 Prozent. Die Wahlkommission sprach von einem ruhigen Ablauf des Urnengangs. Mehr als 85 000 Sicherheitskräfte waren landesweit im Einsatz. (DPA)