Studie: Betreuungsgeld hält von frühkindlicher Bildung ab

Schnuller von Kleinkindern an einem Brett in einer Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt in Hannover. Symbolfofo: Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte
Schnuller von Kleinkindern an einem Brett in einer Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt in Hannover. Symbolfofo: Julian Stratenschulte Foto: Julian Stratenschulte

Das vor einem Jahr eingeführte Betreuungsgeld hält einen erheblichen Teil von Migrantenfamilien und bildungsfernen Eltern offensichtlich davon ab, ihre Kleinkinder in eine Kita zu schicken. Dies ist das Ergebnis einer Befragung von über 100 000 Eltern mit Kindern unter drei Jahren durch das Deutsche Jugendinstitut und die Universität Dortmund. 

Demnach stellt das Betreuungsgeld besonders für sozial benachteiligte Familien einen Anreiz dar, kein staatliches Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen, heißt es im Abschlussbericht der Untersuchung, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt.

 

Die Ergebnisse der Wissenschaftler bestätigen die Kritiker des noch von der schwarz-gelben Vorgängerregierung beschlossenen Betreuungsgeldes. Es war auf maßgeblichen Druck der CSU eingeführt worden. SPD und Grüne bekräftigten am Wochenende ihre Kritik, die CSU wies die Vorwürfe zurück.

 

Seit August 2013 erhalten Eltern, die für ihre Kleinkinder weder einen Kita-Platz noch eine Tagesmutter in Anspruch nehmen, vom 15. Lebensmonat bis zum dritten Lebensjahr monatlich 100 Euro. Ab 1. August dieses Jahres wird das Betreuungsgeld auf 150 Euro erhöht.

 

In der Studie nannten von jenen Eltern, die keine Berufsausbildung oder nur einen Hauptschulabschluss haben, 54 Prozent das Betreuungsgeld als Grund dafür, dass sie ihre Kleinkinder nicht in eine Kita schicken. Bei Familien mit mittlerer Reife reduziert sich dieser Anteil auf 14 Prozent, bei Akademikern gar auf 8 Prozent.

 

Von den Familien mit Migrationshintergrund, die keine Betreuung für ihr Kleinkind wünschten, führten 25 Prozent das Betreuungsgeld als Begründung an. Bei deutschstämmigen Familien lag dieser Anteil lediglich bei 13 Prozent.

 

Laut den Autoren zeigen die Befunde, dass das Betreuungsgeld zu einer sozial ungleichen Inanspruchnahme von frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung beiträgt. Die Geldprämie setze gerade bei jenen Familien falsche Anreize, für deren Kinder frühkindliche Bildungsangebote und Sprachförderung besonders wichtig seien.

 

Die Chefin der bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer, wies die Kritik zurück. «Bei Ein- und Zweijährigen eine Besser-/Schlechter-Diskussion zwischen Elternzuwendung und Kita anzuzetteln, ist ein ideologischer Tiefschlag sondersgleichen gegen alle Eltern von Kleinkindern», sagte die CSU-Politikerin der dpa.

 

Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) bezeichnete das Betreuungsgeld als «Erfolgsgeschichte.» Es gebe keine Indizien dafür, dass hauptsächlich arme Einwandererfamilien das Geld beantragten. In Bayern werde das Betreuungsgeld von allen Einkommensschichten bezogen und von deutschen wie nichtdeutschen Eltern.

 

Hingegen sieht sich Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) in seiner Kritik bestätigt. Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern und von Migranten werde der Zugang zu frühkindlicher Bildung verwehrt. «Gerade bei der Sprachförderung zeigt sich, wie wertvoll die Betreuung und Bildung in einer Kita ist.» Hamburg klagt vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe gegen das Betreuungsgeld-Gesetz. Mit einer Entscheidung wird im kommenden Jahr gerechnet.

 

Auch die rot-grüne Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen erneuerte ihre Kritk. «Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Betreuungsgeld am Bedarf der Familien vorbeigeht», sagte die Landtags-Fraktionsvize Britta Altenkamp (SPD). Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Sigrid Beer, fügte hinzu: «Erwiesen ist, dass das Betreuungsgeld die Bildungsungleichheit verschärft und damit falsche Anreize setzt.»

 

Im ersten Quartal 2014 bezogen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 145 769 Eltern Betreuungsgeld. Am häufigsten wurde es in Bayern nachgefragt. Allein dort gab es 33 500 Bezieher. (DPA)

 

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